Rezensionen zu Bildung und Gender

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Das ist Diskriminierung! Verstehen, was hinter dem Vorwurf steckt

Yara Hofbauer, Unrast, 2023. ISBN 978-3-89771-349-9, 136 Seiten, 14,40 €

Yara Hofbauer ist Wiener Rechtsanwältin im Bereich Opfer-, Diskriminierungs- und Gewaltschutz und Trainerin für Diskriminierungsschutz in Arbeit und Bildung. Mit vielen Beispielen aus ihrer Trainingspraxis in Unternehmen und Organisationen, aber auch aus privaten Alltagssituationen erläutert sie in dem Buch die vielen Facetten von Diskriminierung: Wie sie von Ungerechtigkeiten oder Schlechter­behandlung abgegrenzt werden kann und wie Vorurteile, Stereotype und (Unconscious) Bias „wirken“. Wie Diskriminierung unterschieden werden kann – je nachdem, vom wem sie ausgeht (individuell, institutionell oder strukturell), ob es sich um eine offene oder versteckte Diskriminierung handelt, ob sie unmittelbar oder mittelbar erfolgt, und welche Form von Diskriminierung gesetzlich verboten ist oder nicht. Gern hätte ich mehr über den rechtlichen Diskriminierungsschutz gelesen, auch außerhalb der Arbeitswelt, oder in welchen Bereichen Österreich im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten Nachholbedarf hat.
Das Buch von Yara Hofbauer setzt kein Wissen voraus und kann das Verständnis für unterschiedliche Formen von Diskriminierung fördern – vor allem bei Lesenden mit wenig persönlicher Diskriminierungserfahrung.

(Claudia Schneider)

 

Mehr als binär

Alok Vaid-Menon, illustriert von Julius Thesing, Katalyst Verlag, 2022. ISBN 978-3-949315-24-4, 108 Seiten, Preis 19,60 €

Alok Vaid-Menon ist nichtbinär und nutzt für die eigene Kunst Performance, Modedesign, Poesie, Comedy und Social Media. Alok behandelt Themen wie Geschlecht, Race, Trauma und Zugehörigkeit. Mit der Gründung von #DeGenderFashion setzt Alok eine Initiative zur Degenderung der Mode- und Schönheitsindustrie.
Mit Mehr als binär – erschienen 2020 im englischen Original Beyond the Gender Binary – widmet Alok sich dem Kampf gegen einschränkende Geschlechternormen und Gewalt gegen Trans- und nicht genderkonforme Personen.
In der eigenen Kindheit vor allem aufgrund der eigenen sexuellen- und Geschlechtsidentität gemobbt, ohne queere Vorbilder von indisch-diasporischen Personen, setzt Alok sich heute für körperliche Vielfalt und Selbstbestimmungsrechte ein. „Das wahre Problem ist nicht, dass gendernonkonforme Menschen existieren, sondern, dass uns überhaupt beigebracht wurde, an ausschließlich zwei Geschlechter zu glauben.“ (10) Aloks klare, präzise Sprache ermöglicht cis und binären Leser*innen einen Perspektivenwechsel und damit ein Verstehen der Kontroll- und Machtmechanismen, die sich gegen gendernonkonforme Menschen richten. „Sei du selbst – solange sich andere dabei nicht unwohl fühlen! (...) Als wäre mein Geschlecht etwas, das ich andern antue.“ (14, 21)
„Was Geschlecht bedeutet, lernte ich über Scham.“ (25) Damit einher ging für Alok die Erfahrung, nicht einfach sein zu dürfen, sondern immer angesehen werden als ein Mensch, der etwas macht. „Unsere Existenz wird zu einer Meinungsfrage gemacht, als wäre unser Geschlecht etwas, über das debattiert werden kann, ohne anzuerkennen, dass wir einfach so sind, wie wir sind.“ (18)
Alok spricht über Vorurteile, Vorwürfe sowie täglich erlebte Abwertungen in Form von (vermeintlich biologischen) queer- und transfeindlichen Argumenten bis hin zu Hass. Dennoch ist das Buch poetisch, kraftvoll, inspirierend und empowernd.

(Claudia Schneider)

 

Queere Kinder. Eine Orientierungshilfe für Familien von LGBTQIA+-Kindern und -Jugendlichen

Verena Carl & Christiane Kolb, Beltz, 2023. ISBN 978-3-407-86768-1, 260 Seiten, Preis: 22,70 €

Dieses Buch ist ein wundervoller Reiseführer für Eltern, Bezugspersonen und Pädagog*innen zur respektvollen und wertschätzenden Begleitung von queeren jungen Menschen. Es nimmt die Fragen, Irritationen, Sorgen, Gefühle und Wünsche von erwachsenen Bezugspersonen auf, die queere Jugendliche in ihrem Aufwachsen begleiten. Verena Carl, Journalistin und Mutter eines queeren Teenagers, und Christiane Kolb, Sexualwissenschafterin, schreiben über die Vielfalt von sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten und unterstützen damit die Selbstbestimmung und Emanzipation von Gruppen, die lange Jahre angefeindet, geleugnet oder bestenfalls geduldet wurden und jetzt selbstbewusst volle Gleichstellung und Sichtbarkeit fordern.
Mit einem sorgsam formulierten und umfangreichen Glossar vermitteln sie grundlegendes Wissen, mit differenziert aufbereiteten Erhebungen und Studienergebnissen beantworten sie Fragen wie: Um wie viele Personen handelt es sich? Nimmt die Anzahl von LGBT-Personen zu?
Die Zusammenstellung von internationalen und nationalen (für Deutschland) rechtlichen Grundlagen zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, zur sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität untermauert die Tatsache, dass die Identitäten weder Wahl noch Wahn sind, sondern für Menschen eine existenzielle Notwendigkeit, die sich auch in rechtlicher Anerkennung ausdrücken muss.
Ein Blick über den Tellerrand ermöglicht das weltweite Kennenlernen von kulturellen Alternativen zur Zweigeschlechterordnung.
Viele Menschen haben den Eindruck, das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen: alle dürfen heiraten, und Personen des öffentlichen Lebens sind geoutet. Dabei wird allerdings suggeriert, Menschen dürfen kein Problem damit haben, dass die queer sind. Es wird ihnen die Unsicherheit abgesprochen und der Stress, den sie mit ihrer Umgebung erleben. Damit erwachsene Bezugspersonen diesen Stress verstehen und nehmen können, bietet das Buch Übungen (etwa zum Umgang mit widerstreitenden Gefühlen und zur Selbstreflexion, oder Fragen zur eigenen sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität) und Guidelines für Familiengespräche.
Lesetipps zu Romanen sowie Serien- und Filmtipps für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie eine kurze Zusammenstellung von Organisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Beratung und Information bieten, runden das Buch ab.
Ein Manko weist das Buch zum Thema Intergeschlechtlichkeit auf. Manchmal werden veraltete und von Inter*-Interessensvertretungen abgelehnte Begrifflichkeiten reproduziert. Der Tatsache, dass Intergeschlechtlichkeit noch immer sehr stark als Tabu gilt, wird wenig Rechnung getragen, die damit verbundenen spezifischen Lebenslagen und Bedarfe von inter* Jugendlichen werden nicht erwähnt (z. B. die Aufarbeitung der eigenen Inter*-Geschichte, der Familiengeschichte und der medizinischen Geschichte).
Was für österreichischen Leser*innen ergänzt werden muss: ein Gesetz gegen geschlechtsverändernde Operationen bei Kindern (in Deutschland seit 2021 verboten) fehlt noch immer, obwohl der österreichische Nationalrat bereits im Juni 2021 die Bundesregierung aufgefordert hat, intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche zu schützen!

(Claudia Schneider)

 

Kritisch weiß sein. Eine Anleitung zum Mitmachen

Jule Bönkost, UNRAST, 2023. ISBN 978-3-89771-368-0, 264 Seiten, 18,50 €

Jule Bönkost ist Amerikanistin, Kulturwissenschafterin und weiß und arbeitet seit vielen Jahren u.a. als Beraterin und Trainerin für diskriminierungskritische Bildung. Kritisch weiß sein macht klar, dass Rassismus alle Menschen berührt. Er ist Lebensrealität von uns allen, aber bedeutet nicht für uns alle das Gleiche.
Rassismus sozialisiert uns als Weiße so, dass wir ihn mehrheitlich unbewusst, aber mit viel Energie aufrechterhalten und als gesellschaftlichen Normalzustand ver­teidigen. Wenn Rassismus infrage gestellt wird, wenden wir immer wieder unter­schiedliche Strategien an, um dies abzuwehren – ganz automatisch und unbewusst. Die Abwehrstrategien erscheinen uns als normal. Schließlich sind auch sie Ausdruck von Rassismus.
Wie wir uns individuell und persönlich dieser Beteiligung und Aufrechterhaltung bewusst werden können, mit welchen Kosten für Weiße Rassismus einhergeht, wie wir mit Unbehagen und Beschämung umgehen und eine rassismuskritische Haltung entwickeln können, entfaltet Bönkost ausführlich. Unterstützt werden wir durch Reflexionsfragen.
Bönkost bemüht sich um präzise Begriffsklärungen (Weiß-Sein, Privilegien, Ally bzw. Verbündete) und differenzierte Bezeichnungen wie z. B. weißprivilegierte Menschen anstelle von privilegierte Weiße (um auszudrücken, dass nicht der einzelne weiße Mensch problematisch ist, sondern das Privilegiert-Sein als Ausdruck sozialer Ungleichheit).
Kritik am Rassismus ist sowohl mit Destabilisation als auch Stabilisation von Rassismus verbunden. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Stabilisation und Destabilisation kann mit dem De_Stabilisations­dreieck (151ff.) als Tool für Rassismuskritik veranschaulicht und besprochen werden.
Eine lange Liste von Privilegien weißer Schüler*innen macht das Buch speziell für Lehrkräfte wertvoll.
Am gewinnbringendsten für mich zu lesen waren die Hilfen zum Umgehen mit weißer Abwehr (100f.).

(Claudia Schneider)

 

Gott ist Feministin. Mein Leben mit Eva, Maria und Lady Gaga

Mira Ungewitter, Herder, 2023. ISBN: 978-3-451-39035-7, 192 Seiten, Preis: 18,60 € (um 13,99 € als E-Book erhältlich)

Gott ist Feministin. Zu diesem Schluss kommt die baptistische Pastorin Mira Ungewitter, wenn sie ihr theologisches Fachwissen mit persönlichen Lebenserfahrungen verknüpft. Es könne nicht sein, dass eine göttliche Macht „Menschen in der Ganzheit ihres Wesens zwischen den Polen weiblich und männlich“ nicht als gleich­berechtigt sehen und wollen würde. Die Autorin berichtet von der ersten freikirchlichen Segnung eines queeren Paares, und ihrem Heilig-Moment bei einem Lady Gaga Konzert: Born this way. Sie thematisiert alte Rollenbilder und Sexismus und hinterfragt kritisch die kirchliche Haltung zum Schwangerschaftsabbruch. Eingebettet in persönliche Erzählungen bietet das Buch diversitäts­orientierte und feministische Deutungen biblischer Textstellen und Frauenfiguren. Gott hat demnach kein Problem damit, selbst als weiblich gelesen zu werden – und auch nichts gegen vielfältige Geschlechtsidentitäten und queere Sexualität.
Zwischen bisweilen unterhaltsamen und temporeichen Erzählpassagen bietet der Text theologischen Argumentationsstoff mit Alltagsanbindung. Und in den berührenden Einblicken in persönliche Erlebnisse und Erfahrungen lernen Leser*innen eine glaubhafte und mutige Akteurin dieser Kirche kennen.

Ob es ein Christentum jenseits patriarchaler Konzepte, eine vielfaltsbejahende Kirche geben kann? Dieses Buch ist ein deutliches Ja.

(Rosemarie Ortner)

 

Wer darf in die Villa Kunterbunt? Über den Umgang mit Rassismus in Kinderbüchern

Lisa Pychlau-Ezli, Özhan Ezli, Unrast Verlag, 2022. ISBN: 978-3-89771-191-4, 312 Seiten, 18 €

Um es gleich vorweg zu nehmen: ein extrem lesenswertes Buch, dass viele Themen behandelt und zum Reflektieren und Diskutieren anregt. Im theoretischen Teil geht es um Formen des Rassismus, um Rassismus als (Re)Produktion und um Rassismus im Alltag in Deutschland. Hier werden Begriffe wie Othering, white fragility, white gaze, whitewashing behandelt, aber auch aufgezeigt, wie sowohl Sichtbarkeit als auch Unsichtbarkeit und Übersichtbarkeit Facetten von Rassismus sind.
Im analytischen Teil wird deutlich, wie weit historisch zurück Rassismus in Kinderbüchern zu finden ist und anschließend werden einzelne Kinderbücher dahingehend beleuchtet, wie sich in ihnen Rassismus manifestiert. „Alltagsrassismus in Kinderbüchern ist eben nicht gleichbedeutend mit einer rassistischen Grundeinstellung der Kinderbuchautor*innen, sondern ein Hinweis auf den über Jahrhunderte gewachsenen strukturellen Rassismus in Deutschland und in allen weißen Dominanzgesellschaften.“ (S. 241) Und so darf nicht wundern, dass Kinderbuchklassiker wie Pippi Langstrumpf, Jim Knopf, Krabat, aber auch neuere Bücher wie Thabo oder Die Schule der magischen Tiere viele Elemente von Rassismus aufweisen. Als weiße Leserin des Buches ist es mir immer wieder so gegangen, dass ich mir gedacht habe: „Oh nein, nicht auch noch dieses Buch, das ich in der Kindheit gerne gelesen habe.“ Gleichzeitig heißt das aber auch, dass Menschen von klein auf mit diesen rassistischen Bildern konfrontiert werden und Vorstellungen der Überlegenheit von weißen Menschen und der Unterlegenheit oder zumindest Andersartigkeit nicht-weißer Menschen weitergegeben werden. Umso wichtiger finde ich die Frage, wie mit dem Wunsch nach Änderungen von Begriffen oder Inhalten (nicht nur) in Kinderbüchern umge­gangen werden kann. Auch dieser Frage widmet sich das Buch und verhandelt dies Im Kontext von Meinungs- und Kunstfreiheit und Zensur (vorwürfen). Einfache Lösungen gibt es nicht, kontrovers, aber respektvoll geführte Diskussionen sind notwendig. Die Autor*innen verwehren sich aber dagegen, dass aus einer Abwehrhaltung heraus oder, weil Privilegien nicht hinterfragt werden sollen, jegliche Kritik an rassistischen Darstellung abgewehrt und darauf bestanden wird, dass in Kinderbüchern nachträglich keine Änderungen vorgenommen werden dürfen. Für all jene, die nicht-rassistische Kinderbücher vorlesen oder herschenken wollen, verweisen die Autor*innen situationsansatz.de/fachstelle-kinderwelten/kinderbuecher (Kinderbuchempfehlungen) oder buuu.ch (hier kann z. B. nach „Kinder of Color“ oder nach dem Stichwort Rassismus gesucht werden) oder auf den Onlineshop tebalou.shop für diversitätssensible Produkte.

Nicht immer leicht zu lesen, aber definitiv ein Buch, das ich nicht nur Personen, die mit Kindern leben oder arbeiten, unbedingt empfehlen würde, sondern allen, die reflektieren wollen, wie sich implizit oder explizit Rassismus in Kinderbüchern eingeschrieben hat und weiterhin einschreibt.

(Renate Tanzberger)

 

Vielfalt in der Elementarpädagogik 2. Von der Reflexion pädagogischer Praxis zum verant­wortungs­vollen Umgang im Kitaalltag.
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Barbara Lehner/Maria Fürstaller, Wochenschau Verlag, 2023. ISBN: 978-3-95414-197-5, 248 Seiten, (auch als E-Book erhältlich), Preis: 24,70 €

Den zweiten Band der Reihe „Vielfalt in der Elementarpädagogik“ gestalten Barbara Lehner und Maria Fürstaller als Praxishandbuch. Es handelt sich allerdings nicht um ein „Rezeptbuch“ für gelingende Praxis. Die Autorinnen laden vielmehr ein, sich verstehend und in einer forschenden Haltung auf die Herausforderungen von Praxis­situation einzulassen.
Mit Vielfalt umgehen bedeutet für sie, einen Balanceakt zu meistern. Sie skizzieren pädagogisches Handeln zwischen unterstützender Anerkennung von Unterschieden, und der Vermeidung von Unterscheidungen, wo sie Ungleichheit und Ausgrenzung befördern. Ziel ist dabei immer, allen Kindern solche Erfahrungsräume zu eröffnen, die Bildungs- und Entwicklungsprozesse befördern und nicht verunmöglichen.

Das Buch gliedert sich in 6 thematische Kapitel: Trauma, Kultur, Religion, Behinderung und Beeinträchtigung, Gender, Sprache. Die Themenwahl irritiert auf den ersten Blick, denn sie folgt nicht der üblichen Benennung von Dimension sozialer Ungleichheit. Sie ist aber nachvollziehbar, wenn die pädagogische Praxis zum Ausgangspunkt der Überlegungen genommen wird. Jedes thematische Kapitel beginnt mit einer Fallvignette, die im Weiteren unter Rückgriff auf theoretische Konzepte einer analy­sieren­den Reflexion unterzogen wird. Kurze und sehr gut verständliche Erklärungen zu theoretischen Konzepten und Begriffen (z.B. Othering, Mehrheitsgesellschaft, Safe Spaces, Ableismus, Geschlechter­stereotypen, Transgender und Intersexualität) sind übersichtlich in Kästchen hervorgehoben – ebenso Reflexionsfragen für pädagogische Fachkräfte, die eigene Gefühle und Erfahrungen ansprechen, aber auch zur Anwendung theoretischer Konzepte als Reflexionstools einladen.

Das Kapitel zu Gender stellt zu Beginn folgende Szene vor: Ein 4-jähriger Bub genießt offensichtlich sehr, einen rosa Rock anzuziehen und sämtlichen vorhandenen Schmuck anzulegen. Er betrachtet sich erst selbst im Spiegel und inszeniert dann eine Art Modenschau, bei der andere Kinder das Publikum spielen. An dieser Fallvignette und unter Rückgriff auf weitere Szenen werden erst traditionelle Geschlechter­rollenbilder (auch der pädagogischen Fachkräfte) thematisiert. Diskutiert wird, wie Kinder darin gefördert werden können, sich über die Grenzen der Rollenbilder hinaus auszuprobieren. Im Anschluss werden die kindliche Entwicklung von Geschlechtsidentität bzw. Geschlechterkonstanz sowie die emotionalen Herausforderungen in diesem Prozess besprochen. Dass danach explizit Transsexualität thematisiert wird, muss ebenso positiv hervorgehoben werden wie der Hinweis, dass es nicht notwendig ist, für das 4-jährige Kind zu entscheiden, ob es ein Trans*Kind ist oder nicht. Notwendig ist vielmehr, so die Autorinnen, eigene Unsicherheiten loszulassen und Unsicherheiten anderer Kinder unterstützend aufzugreifen, damit das Kind im rosa Rock erleben kann, wie seine Kleidung und seine Freude daran von den Pädagog_innen und den anderen Kindern wergeschätzt werden. Zum Abschluss ermutigen die Autorinnen zur reflektierten Auseinandersetzung mit Eltern und deren Rollenbildern.

Ein abschließendes Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung professioneller Verstehens- und Reflexionskompetenzen und stellt die Methode der „Work Discussions“ vor. Dieses psychoanalytisch orientierte Vorgehen basiert auf verschriftlichten Beobachtungen eigener Praxis (einschließlich Selbst­beobachtung) und zielt auf Analyse von Beziehungserfahrungen. Positiv daran ist, dass eine Gruppe von Pädagog_innen kollektiv Wissen entwickelt und somit die professionelle Community als Ressource etabliert wird. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die im Buch zentralen gesellschaftskritischen Konzepte und Begriffe in dieser Methode nicht per se zur Verfügung stehen. In der Beschreibung wird leider auch nicht darauf hingewiesen, an welcher Stelle des Vorgehens sie wie eingebracht werden müssen, um den Umgang mit Vielfalt angemessen bearbeiten zu können.

Das Praxishandbuch ist sprachlich angenehm zugänglich gestaltet, so dass es sich für Aus- und Weiterbildung gut eignet. Reflexion und Analyse der Fallvignetten sind nachvollziehbar und so macht die Lektüre Lust auf die kollektive Arbeit an eigenen (Selbst)Beobachtungen. Dafür kann das Praxishandbuch dann durchaus als „Rezeptbuch“ dienen.

(Rosemarie Ortner)

 

Heinz-Jürgen Voß (2023): Einführung in die Sexualpädagogik und Sexuelle Bildung. Basisbuch für Studium und Weiterbildung.
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Kohlhammer Verlag, 237 Seiten, Preis: 38 €

Heinz-Jürgen Voß ist Biologie und hat seit 2014 eine Professur für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung an der Hochschule Merseburg inne. Wie schon in früheren Publikationen zur Dekonstruktion von Geschlecht aus biologisch-medizinischer Perspektive stellt Voß auch in diesem „Basisbuch“ biologische vermeintliche Gewissheiten infrage und argumentiert für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.

Nach grundlegenden Definitionen von Sexualerziehung, Sexualpädagogik und Sexueller Bildung und ihren jeweiligen historischen Entwicklungen knüpft Voß immer wieder an aktuelle Bezüge an: Aufdeckungen von sexualisierter Gewalt, anwachsende Sensibilität in Bezug auf Grenzverletzungen und Übergriffe, Erarbeitung von schulischen Kinderschutzkonzepten, kritische Reflexion von bis­herigen gesellschaftlichen sexuellen Normsetzungen, Ermöglichung geschlechtlicher und sexueller Selbstbestimmung auch im Recht oder die Forderung nach einer intersektionalen Sexualpädagogik mit kritischer Selbstreflexion von eigenen stereotypen rassistischen Vorannahmen.

Voß unterlegt seine differenzierten inhaltlichen Ausführungen mit entsprechenden rechtlichen Grundlagen für sexualpädagogische Angebote in Deutschland, unter anderem mit dem seit 2021 klar definierten Auftrag, auch die Bedarfe transidenter, nichtbinärer und intergeschlechtlicher junger Menschen angemessen zu berücksichtigen.

In Ergänzung dazu lässt sich für Österreich sagen: auch hierzulande soll sich schulische Sexualpädagogik „an der Vielfalt der Lebensformen (z.B. sexuelle Orientierung, Geschlechteridentitäten) orientieren“ (Grundsatzerlass „Sexualpädagogik“, 2015) und schulischer Unterricht präventiv gegen „Mobbing insbes. gegen LGBTI-Jugendliche (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und intersexuell)“ wirken (Unterrichtsprinzip „Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung“, 2018).

Dafür braucht es dezidierte Angebote in der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Das „Basisbuch“ bietet hierfür Materialempfehlungen für Kita, Primar- und Sekundarstufe sowie im Kontext Behinderung und für Sexualpädagogisches Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen mit und ohne Flucht- und Migrationserfahrungen.

Darüber hinaus ist die Lektüre vor allem wegen der geschichtlichen Ausführungen über eine „Sexualerziehung der Vielfalt“ spannend: diese wurde 1930 (!) von Magnus Hirschfeld und Ewald Bohm veröffentlicht. Demnach sei es erforderlich, sich nicht zu rasch auf „das Geschlecht“ des Kindes festzulegen; die Eltern sollten sich Zeit lassen, bis sich aus dem „Geistesleben des Kindes“ heraus eine geschlechtliche Richtung andeute, die Selbstbestimmung des Kindes und Jugendlichen war zentral.

Konzepte der Geschlechterwandlung und -mischung wurden in den 20-er und 30-er Jahren in Deutschland breit diskutiert. Mit der erzwungenen Emigration vieler dieser Forschenden 1933 begann sich die Dominanz des polaren Geschlechtermodells der Nationalsozialisten durchzusetzen, dessen Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen (polare Geschlechtlichkeit mit deutlicher Differenzierung zwischen „Normalen“ und „Anormalen“) bis heute fortleben.

Das Buch gibt eine Reihe von Impulsen für eine intersektionale Geschichtsschreibung der Sexualpädagogik, die von den Lücken und Auslassungen her denkt, aber bislang noch aussteht.

(Claudia Schneider)

 

Hannah Engelmann (2019): Antiqueere Ideologien. Die Suche nach identitärer Sicherheit – und was politische Bildung dagegen ausrichten kann.

164 Seiten, Unrast Verlag, Preis: 14,40€

Diskurse gegen Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter, gegen Gender Studies und die Freiheit des geschlechtlichen Ausdrucks sind Bestandteil von Anti-Gender-Bewegungen. Sie behaupten, dass sie zum Schutz der "natürlichen Ordnung der Dinge", der "Nation", der "Familie" und der "traditionellen Werte" agieren. Dahinter steckt die Furcht ihre Protagonist*innen vor der Dekonstruktion der gewohnten, festen und hierarchischen gesellschaft­lichen Organisation entlang der Geschlechterlinien; sie sehnen sich nach Sicherheit und klaren Grenzen. Hannah Engelmann untersucht deren Manifesta­tionen in der Verknüpfung der Ebenen der Ökonomie, der Einzelnen und der Kollektive und was eine kritische Diversity Education dem entgegensetzen kann.
Viele Menschen waren und sind während ihrer Schullaufbahn mit Unter­scheidungen, Diskriminierung oder sogar Gewalt in Bezug auf Geschlecht konfrontiert. Bildung ist eines der wichtigsten Subsysteme der Gesellschaft, in dem soziale Ungleich­heiten gleichzeitig abgebaut, reproduziert und sogar verschärft werden können. Damit sie ihrer Verantwortung zum Abbau sozialer Ungleichheiten, einschließlich geschlechtsbezogener Ungleich­heiten, gerecht werden kann, sollte Bildung kritisches Denken lehren und die Infragestellung sozialer Normen und Formen der Ungerechtigkeit fördern.
Wie kann (schulische) Bildung, die immer auch politische Bildung ist, uns ermutigen, eigene Wege jenseits starrer Normen und autoritärer Wünsche zu gehen? Sie muss sich auf die Stimmen und Anliegen von ausgegrenzten und marginalisierten Gruppen konzentrieren. Das Politische steht nicht im Gegensatz zum Privaten, und wie und wo die Privatsphäre konstruiert wird, ist ein politischer Prozess. In der Bildung kann das Politische verhandelt werden. Es ist dann auch eine politische Frage, wie die in der Bildung und Ausbildung tätigen Menschen selbst in gesellschaftliche Machtverhältnisse verstrickt sind. Es geht dabei nicht nur um die Vermittlung von Faktenwissen; vielmehr können Erfahrungen neu betrachtet und eingeordnet, der Handlungsspielraum erweitert und neue, über das Bestehende hinausgehende Bezüge zum Selbst, zu anderen und zur Welt entwickelt werden.
Abschließend versammelt das Buch – inspiriert von erfahrenen Praktiker*innen – inhaltliche und didaktische Anregungen, was Diversity Education anti-queeren Ideologien entgegensetzen kann.
(Claudia Schneider)

Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit - FIPU (Hg.) (2019): Rechtsextremismus. Band 3: Geschlechterreflektierte Perspektiven

342 Seiten, Mandelbaum, Preis: 19€

Der Sammelband gibt einen Überblick über geschlechterreflektierende und ‑reflektierte Rechtsextremismusforschung in Österreich, ihre Geschichte und thematischen Schwerpunktsetzungen. Viele Texte im Sammelband nehmen Beispiele aus der jüngsten österreichischen Vergangenheit auf, die ebenso auf aktuelle Diskurse und Debatten umgelegt werden können.
Die insgesamt elf Beiträge bieten Analysen der Geschlechterpolitiken von rechtsextremen Akteur*innen und Organisationen und ihren Gender­kons­truk­tionen. Als grundlegende Merkmale rechtsextremer Ideologien sind in jüngster Zeit zunehmend (Hetero-)Sexismus, Antifeminismus, Homo- , Inter- und Trans­feindlichkeit auszumachen, vor allem eine spezifische Ressentiments­struktur gegen intergeschlechtlichte Menschen in der extremen Rechten: So zeigt Andreas Hechler in seinem Beitrag auf, dass „ein Wissen um Interge­schlecht­lichkeit und die sie umgebenden Diskurse notwendig ist, um gegenwärtige rechte Diskursformationen um das Thema Geschlecht adäquat analysieren zu können“ (88). Lisa Auzinger analysiert in ihrem Beitrag Merkmale rechtsextremer Erziehung mit ihren zugrundeliegenden Geschlechterbildern. Judith Goetz und Stefanie Mayer arbeiten heraus, wie die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und von ‚natürlicher‘ Heterosexualität als zentrale Denk- und Argumentationsmuster in aktuellen rechts­extremen, -konservativen und -katholischen Anti-Gender-Diskursen als „Scharnierdiskurse“ fungieren. In ihrem Beitrag bringen sie auch wichtige, weil wenig bekannte Begriffsklärungen zu (tw. mehrdeutigen) Begriffen wie Genderismus, Antigenderismus sowie ‚Gender-Ideologie‘ – letzterer erfunden Mitte der 1990er vom „Vatikan in seinem Kampf gegen die Integration des Begriffs Gender und des Gender-Mainstreaming-Konzepts in die Abschlussdokumente von UN-Konferenzen“ (ebda., 213). Heribert Schiedel analysiert die Bedeutung der Kategorie ‚Männlichkeit‘ in und für rechtsextreme(n) Diskurse(n) vor allem in Bezug auf den krisenanfälligen Verlauf der (männlichen) Adoleszenz und die rechtsextremen Angebote an junge Männer, sich über die Abwertung anderer Aufwertung zu verschaffen. Über organisierte Abtreibungsgegner_innen – wie die sogenannte Lebensschutzbewegung – und die link(sradikal)en und feministischen Proteste gegen sie schreiben Anna Jungmayr, Judith Goetz und Katharina Nöbl.
Die einzelnen Beiträge sind gut recherchiert, spannend zu lesen und bieten eine informative Lektüre – sowohl denjenigen, die sich in den Themenkomplex Rechtsextremismus & Geschlecht einarbeiten wollen, als auch informierten Leser*innen.
(Claudia Schneider)

Eden Mengis, Ansgar Drücker (2019): Antidiskriminierung, Rassismuskritik und Diversität

105 Reflexionskarten, Beltz Juventa Verlag, Preis: 29,95€

Wir möchten mit diesem Kartenset zur Sensibilisierung für und zum Abbau von Rassismuserfahrungen, Verletzungen und Diskriminierungen beitragen. Allein mit pädagogischer Arbeit und sensiblen Sprachgebrauch machen wir gesellschaftliche Diskriminierung sowie ungleiche Rechte und Teilhabe nicht ungeschehen. Dennoch glauben wir, dass viele Menschen für sich das Ziel formulieren würden, nicht rassistisch zu argumentieren und keine aktive Diskriminierung auszuüben.“ (aus dem Booklet zu den Karten, S. 6) Und hier kommen die 105 Karten ins Spiel. ­­­Diese beinhalten folgende 5 Kategorien: Begriffe und Erklärungen zum Thema Rassismus und Diskriminierung, Methoden, mit denen diskriminierenden Äußerungen und Verhältnissen begegnet werden kann, problematische Aussagen von Personen der Öffentlichkeit, Daten und Zahlen zu Diskriminierung und Rassismus (mit Schwerpunkt Deutschland), Beispielssituationen als Grundlagen für Rollen­spiele.
Das Kartenset eignet sich in der Fortbildung ebenso wie in der Arbeit mit Jugendlichen (in der Schule oder der außerschulischen Jugendarbeit). Das 24-seitige Booklet erläutert die Intentionen der Autor*innen, gibt didaktische Anregungen, wie mit den Karten gearbeitet werden kann, weist auf Widerstände, Gefahren und Verantwortungen hin, listet Auswertungsfragen für die Trainer*innen, die mit den Karten arbeiten, auf und weist auf Stellen (in Deutschland) hin, die sich im Bereich Antirassismus engagieren – dabei wird auch IDA - das Informations- und Dokumentationszentrum für Rassismusarbeit, das das Kartenset in Auftrag gegeben hat, erwähnt und auf ein Glossar verwiesen, das dieses gratis zur Verfügung stellt: www.idaev.de/recherchetools/glossar.
Ein Kartenset, das seine Dringlichkeit u.a. durch die „Black lives matter“-Bewegung bestätigt findet.
(Renate Tanzberger)

Uwe Sielert, Helga Marburger, Christiane Griese (Hg.) (2017): Sexualität und Gender im Einwanderungsland. Öffentliche und Zivilgesellschaftliche Aufgaben – ein Lehr- und Praxishandbuch

371 Seiten, De Gruyter, Preis: 34,95€

Das Lehr- und Praxishandbuch wurde von drei Forscher*innen aus den Bereichen Sozialpädagogik, Sexualpädagogik und interkulturelle Erzie­hung und Bildung herausgegeben. Es diskutiert ein sehr großes Spektrum an Themen wie sexuelle Gewalt, Flucht, Genderkonzepte, Homophobie, Rassismus, schulische Sexualerziehung und mehr, die mit jeweiligen politischen Diskursen in Bezug gesetzt werden. Eine der Stärken des Bandes ist die sorgfältige Auseinandersetzung mit Begriffen und Begriff­lichkeiten: diese haben nicht bloß die Funktion einer deskriptiven Definition; ihre Wahl bedeutet immer auch eine Einnahme einer bestimmten Perspektive und sie sind mit sozialen Konnotationen ver­bunden.
Das Lehrbuch richtet sich unter anderem an Studierende im psycho­sozialen Bereich, jeder der insgesamt 24 Beiträge schließt mit einigen Vertiefungs­aufgaben und -fragen. Es ist sachlich aufgebaut, enthält aber mitunter Fach­begriffe, die nachgeschlagen werden müssen. Die präsen­tierten Forschungs­ergebnisse werden ausführlich beschrieben und sind nachvollziehbar erklärt. Vielfältige Herausforderungen in der pädagogischen Praxis werden definiert und mit Herangehens­weisen, Beispielen und Handlungsempfehlungen beschrieben.
Hilfreich ist das Buch besonders für diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten, vertiefende wissen­schaftliche Grundlagen verstehen und sich mit Lösungs­ansätzen beschäftigen möchten. Aber auch für all diejenigen, die sich auf diesem Gebiet weiterbilden und neue Denkansätze bekommen möchte, kann dieses Buch aufschlussreich und lesenswert sein.

Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (Hg.) (2018): SEX, WAS? Lehr-, Lern- und Methodenhandbuch zur sexuellen und reproduktiven Bildung

248 Seiten, Gugler, Preis: 34,90€

Hinter diesem Methodenhandbuch steckt ein großes Team und eine Menge an Arbeit. Auf 248 DIN A4-Seiten werden in 12 Kapitel überwiegend Methoden vorgestellt - zu Themen wie z. B. Beziehungen & Gefühle, Sexualität bis hin zu sexuell übertragbaren Krankheiten, Sexualität & Medien und rechtlichen Aspekten.
Man könnte meinen, dieses Buch wirkt wie die Bibel der sexuellen und reproduktiven Bildung. Der große Umfang an Methoden ist erstmal über­wältigend. Dieser Band ist ein Instrument für die sexualpädagogische Arbeit mit Jugendlichen ab 13 Jahren. Egal in welchem Fachschwerpunkt sich die Pädagog*innen befinden, dieses Handbuch dient zur Unterstützung der Arbeit mit dieser Altersgruppe.
Dieses Werk ist wahrscheinlich keines, welches man in einem Stück durchlesen würde. Es ist eher ein Werk zum Nachschlagen, ähnlich wie ein Schulbuch, nur viel spannender.
Die meisten Methoden wurden von Sexualpädagog*innen in Schulklassen angewendet und haben positives Feedback bekommen. Eine, bei Jugendlichen besonders beliebte, Methode wird im Buch „Black-Box-Fragen“ genannt. Bei dieser Methode ist es den Jugendlichen möglich, anonym Fragen an die Pädagog*innen zu stellen – ein wichtiges Setting, da „Sex“ doch leider immer noch für viele ein Tabu ist. Mit der Methode kann es gelingen, das Thema zu enttabuisieren und die Offenheit und den Raum zu schaffen, alles zu fragen. Im Buch werden auch Fragen-Beispiele von Jugendlichen und die anschließenden Antworten der Pädagog*innen genannt. Hier ist allerdings zu vermuten, dass die meisten Fragen von den Schüler*innen wohl nicht genau so formuliert wurden, sondern die Fragen „verschönert“ worden sind. Die angeführten Antworten der Pädagog*innen sind auf jeden Fall hilfreich, auch wenn sie länger ausfallen könnten.
Hier ist es leider nicht möglich auf alle Methoden einzugehen, aber es lohnt sich auf jeden Fall mal hineinzuschauen, um zu lernen, wie gewisse Inhalte vermittelt werden könnten und auch, um selbst etwas zu den vielfältigen Themen zu Sex dazu zu lernen.
(Pavel Barbot)

Sorority (Hg.) (2018): No More Bullshit. Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten.

176 Seiten, Kremayr & Scheriau, Preis: 19,90€

Vor einem Jahr wurde das Buch „No more Bullshit“ zum dritten Mal von dem österreichischen Frauennetzwerk veröffentlicht. „Qualität statt Quote!“, „Der Paygap ist ein Mythos!“ oder „Wir haben keine Frau* für das Podium gefunden“ sind Behauptung die leider zu oft zu hören sind.
Das „Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten“ bietet verschiedene Tools (Albernheit identifizieren und entlarven, eine Reflexion über Wahrheit und eine andere über Sprache) und fünfzehn Zooms zur verschiedenen Themen, wie z.B. dem sogenannten Widerspruch „Humanismus vs Feminismus“, Frauen in Führungspositionen oder Humor.
Mit dem vielversprechenden Start „Liberté, égalité, smash the patriarché – mic drop“ fängt das Buch an. Es lässt sich durch seine klare und schöne graphische Gestaltung und seinen „beschwingten Ton“ sehr gut lesen. Seine Komplexität verdankt es einem Team von 23 Personen, die sehr qualitätsvolle Beiträge verfasst haben. Nicht zu vergessen: die tolle Arbeit von Lana Lauren, die ihre Einblicke graphisch darstellt, durch ein „Lohnt es sich zu kontern“-Ja/Nein-Schema, ein Bullshit-Bingo, Shiva-Wunderfrau-Illustrationen, und noch viel mehr.
Dieses Buch wird sowohl Personen helfen, die Fakten und Argumente gegen Weiblichkeitsmythen suchen als auch jenen, die ihre eigenen tradierten Vorurteile hinterfragen wollen. Das Buch kann auch nützlich sein, um einige Familientreffen zu ertragen, denn es vermittelt den Eindruck, nicht allein, sondern Teil einer größeren Gemeinschaft, einer Sororität (Schwesternschaft) zu sein.
(Jeanne Viès-Magar)



Petra Unger (2019): Frauen Wahl Recht. Eine kurze Geschichte der österreichischen Frauenbewegung

148 Seiten, Mandelbaum Verlag, Preis: 10€

Dieses vom Format her kleine Büchlein bietet gewichtige Inhalte. Passend zum 100jährigen Jubiläum (2019 durften Frauen zum ersten Mal in Österreich wählen und die ersten 8 weiblichen Abgeordneten fanden sich im Parlament ein) erfahren wir von Petra Unger vieles, das im Schulunterricht meist keine Erwähnung findet. Wenn die Autorin Gerda Lerner zitiert „Jede Frau ändert sich, wenn sie erkennt, dass sie eine Geschichte hat“ (S. 12), macht sie deutlich, wie wichtig es ist, Frauen, die für Gleichberechtigung gekämpft haben, sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie sehr Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gesellschaftlich verankert war (und ist).
Durch Petra Unger erfahren wir von der 1. Frauendemonstration (die „Praterschlacht“), politische Frauenvereine, von Differenzen innerhalb der Frauenbewegung(en), vom Widerstand gegen das Frauenwahlrecht, von Errungenschaften in der Zwischenkriegszeit, von Widerstandskämpferinnen und Täterinnen während der Zeit des Nationalsozialismus, vom Aufbruch in die Moderne und die 2. Frauenbewegung. All dies großteils bezogen auf Österreich, aber immer wieder auch mit Ausblicken in andere Länder. Im Anhang gibt es noch statistische Daten und Fakten und ich kann nicht verhehlen, dass ich mich freue, dass auch der Verein EfEU Aufnahme in dieses Büchlein gefunden hat.
Dieses Buch sollte in keiner Schulbibliothek fehlen.
(Renate Tanzberger)



Jayrôme C. Robinet (2019): Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund

213 Seiten, Hanser Verlag, Preis: 20€

Gleich vorweg: das Titelbild und der Titel hatten mich etwas abgeschreckt, die Frage „Was macht eine Frau zu einer Frau, einen Mann zu einem Mann?“ am Umschlag hatten aber meine Neugierde geweckt. Der Autor erzählt seine Geschichte der Transition mit Rückblenden in Kindheit und Jugend. Er nimmt die Lesenden mit in seine Welt als er als Kind gerne mit Puppen spielte und Lesen dem Fußball vorzog, aber schon mit 6, 7 Jahren seinem Vater erklärte, dass er gerne ein Junge wäre. Er beschreibt, kein Tomboy sondern eher feminin gewesen zu sein. Er steht auf Männer, geht dann aber lesbische Beziehungen ein. Das persönliche Leiden, das bei der ICD-10-Klassifikation von „Transsexualismus“ als Kriterium genannt wird, erlebt er als Jugendliche(r) – er begeht zwei Selbstmordversuche; zu dem Zeitpunkt als er sich zu einer Transition entschließt, empfindet er sich als glücklich. Er hat ein Umfeld, das zu ihm steht, später wird sich auch seine Familie zu ihm bekennen. Er verliebt sich in einen Mann, Karim, der aus Syrien flüchten musste und in Berlin kurze Zeit beim Autor wohnt. Die Liebesgeschichte der beiden politischen und reflektierten Männer ist schön zu lesen, ein bisschen ein Unbehagen bleibt bei mir, wenn reale Figuren so intim beschrieben werden (ich gehe aber davon aus, dass dies nicht ohne Einverständnis von Karim geschehen ist).
Sehr spannend fand ich die Reflexionen bzgl. des Doing gender. So fragt der Autor einen Freund „Wann darf ein Mann eigentlich lächeln?“, da er an einer Pommesbude die Reaktion „Was grinst du so blöd?“ bekommen hatte. Oder er verbietet sich in einer Gemeinschaftsküche mit einem ihm unbekannten Mädchen zu spielen, da das missverstanden werden könnte – jetzt, wo er als Mann gelesen wird. Er reagiert reflektiert auf Männerbündelei, schreibt darüber, wie schwer es für Frauen, die sozialisiert sind, anderen zu gefallen, ist, nein zu sagen und er erkennt Privilegien, die er als Mann hat.
Die Familie des Autors kam 1946 von Sizilien nach Frankreich, er selbst zog nach einem Studium in Belgien nach Berlin und wird durch seine Transition als wesentlich jünger als er ist wahrgenommen – und als Türke/Araber. Er wird auch angesprochen, um als PoC (People of Color) das Wort zu ergreifen, sieht sich selbst aber als weiß und lehnt daher ab. Gleichzeitig erlebt er auf der Straße, im Hotel, in der Bar Diskriminierung/Rassismus. Enttäuscht war ich – wahrscheinlich auch, weil der Titel Erwartungen in diese Richtung weckt –, dass das Thema nicht sehr ausführlich behandelt wird; hier hätte ich auf mehr gehofft.
Ein sehr empfehlenswertes Buch, für alle, die sehr anschauliche und reflektierte Beschreibungen zu Doing gender und Doing race lesen wollen.
(Renate Tanzberger)


Verena Florian (2019): Mut zum Rollentausch. 50 beruflich erfolgreiche Frauen und Männer in Väterkarenz erzählen.

264 Seiten, Falter Verlag, Preis: 22,90€

Die Autorin hat 30 Vorständinnen, Vorstandsvorsitzende, Managerinnen und Unter­nehmerinnen sowie 20 Männer in Väterkarenz interviewt und die Ergebnisse dieser Interviews thematisch geordnet. Um nur einige Themen zu nennen: Mythos Rabenmutter, Frauen und Geld, die neuen Männer, Gläserne Decke, Quoten, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung,… Die einzelnen Kapitel beinhalten neben den Interviewpassagen Zusatzinformationen in Form von Daten, Statistiken, Studien, historischen Rückblicken, Ausblicke in andere Länder (die zum Teil in Bezug auf Väterkarenz und Frauen in den oberen Etagen schon wesentlich weiter sind als Österreich) sowie Erkenntnisse aus der eigenen Praxis als langjährige Unternehmerin und Coach. Verena Florian verdeutlicht auch, wie gesetzliche Bestimmungen und Unternehmenskultur einen gesellschaftlichen Wandel in Richtung Geschlechtergleichstellung unterstützen können. So erzählt sie z.B. von einer Vorständin einer österreichischen Bank, die in ihrer Antrittsrede gesagt hatte „Ich erwarte, dass Männer in Väterkarenz gehen“, um bewusst Männer zu diesem Schritt zu ermutigen (S. 58).

Positiv aufgefallen ist mir auch, dass die Autorin die *-Schreibweise verwendet und dezidiert auch schwule bzw. lesbische Personen zu Wort kommen lässt (wiewohl die Heteronormativität selten gebrochen wird).

Womit ich mir schwergetan habe: das immer wieder vorkommende „Männer sind so – Frauen sind so“ (auch, wenn die „eigene Art von Frauen zu führen“ meist positiv betont wird) und das „Ich muss nur an mich glauben, dann kann ich alles erreichen“ (Beispiel: „Das größte Hindernis von Frauen bei der Arbeit auf dem Weg nach oben ist der eigene innere Schweinehund“ (S.162)).

In diesem Buch geht es um Frauen in sehr gut bezahlten Positionen und diese berichten von dem Vorteil, sich dadurch auch eine Haushaltshilfe leisten zu können. Und auch die Kinderbetreuung funktioniert oft mit Hilfe von privat bezahlter Betreuung. Dass dies oft nur zulasten von Frauen aus ökonomisch schlechter gestellten Schichten bzw. Frauen aus Osteuropa möglich ist, wird nicht erwähnt.

Interessiert hätte mich auch, ob sexuelle Belästigung „am Weg nach oben“ gar nicht angesprochen wurde oder die Autorin davon Abstand genommen hat, darüber in ihrem Buch zu schreiben.

Ein Buch, das dazu anregt, sich zu fragen, inwieweit Frauen (Personen) mitspielen müssen, um an einflussreiche Stelle zu kommen, welche Gestaltungsmacht (auch in Richtung Gleichstellung) sie dann haben, welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit sind („Die Einsamkeit der Spitze“, mangelnde work-life-balance,…) und welche Strategien Frauen entwickeln können, um sich und anderen ein gutes Leben zu möglichen.
(Renate Tanzberger)

Maria Fürstaller/Nina Hover-Reisner/Barbara Lehner (Hg.) 2018): Vielfalt in der Elementarpädagogik. Theorie, Empirie und Professionalisierung

159 Seiten, Debus Pädagogik Verlag, Preis: 20,50€

Der Sammelband ist hervorgegangen aus einer Vortragsreihe am Studiengang Sozial­management in der Elementarpädagogik an der fh campus Wien in den Jahren 2016 und 2017. Er bietet Fachwissen zu Diversität in der Elementarpädagogik und versteht sich gleichzeitig als Plädoyer für die Schaffung von Räumen und Orten in der und für die elementarpädagogische(n) Praxis, um – begleitet durch externe Professionist*innen aus (Fach-)Beratung und Supervision mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen (wie Work Discussion) – Erfahrungen zu reflektieren, Haltungen auszubilden und alternative Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten.
Im ersten Teil werden theoretische und empirische Aspekte dargestellt: mit kritischen Einblicken in aktuelle Forschungsprojekte zu kultureller Vielfalt am Beispiel Interkultureller Mitarbeiter*innen in nieder­österreichischen Kindergärten und zu religiöser Vielfalt in zwei Wiener Kindergärten; zu Sprache und Sprachorganisation in Bildungsorganisationen mit dem Vorstellen eines Stufenmodells, welches Praktiken, Ideologien und sprachliches und räumliches Erleben analysiert und als Bestandsaufnahme und zur Planung von erwünschten Veränderungen dienen kann; mit einem Überblick über Kinderarmut und Gesundheit; schließlich zum professionellen Erziehungsverhalten von Männern und Frauen in der Elementarpädagogik aus der Tandem-Studie der Hochschule Dresden.
Die Beiträge im zweiten Teil geben – großteils anhand von Fallbeispielen – anregende und spannende Einblicke in die unterstützenden Möglichkeiten von (Fach-)Beratung und Supervision. Die Bedeutung der Reflexion des pädagogischen Handelns als Kernkompetenz pädagogischer Professionalität wird so ein­drucks­voll nachvollziehbar: wie individuelle Gefühle, Haltungen und Einstellungen die jeweiligen Handlungs­muster beeinflussen, und wie die „äußeren“ Erwartungen zu (inneren) Konflikten führen können; wie vorschnelle kulturalisierende Zuschreibungen weniger eine Lösung als vielmehr ein Teil des Problems sind; wie ein Weg von der Zuschreibung einer natio-ethno-kulturellen Differenz hin auf die emotionale Dimension der Lebenssituation zur Entwicklung einer transkulturellen Haltung beitragen kann; wie im Umgang mit kultureller Heterogenität geachtet werden muss auf die diskursiven Konstruktionsprozesse und die Gefahr der Reproduktion von Machtverhältnissen; wie im eigenen Handlungsbereich Unterdrückung und Aus­grenzung (durch z.B. dominanzkulturelle Relativierungen und Ausübung von Definitionsmacht) beendet werden kann. Der Sammelband wird abgeschlossen mit einer kompakten Einführung in den Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung des Instituts für den Situationsansatz ISTA und der Fachstelle Kinderwelten in Berlin.

Auffallend ist, dass einzig der thematische Beitrag zu Geschlecht (Tandem-Studie) einen differenztheoretisch-essentialisierenden Ansatz (in Bezug auf Geschlechtsidentität und Entwicklungspsychologie) verfolgt. Die an einigen Stellen formulierten (de-)konstruktivistischen Theorie-Positionen verbleiben in Phrasen, werden nicht konzeptionell ausgearbeitet und stehen daher als Analyseinstrument nicht zur Verfügung. So kann die eigene Beteiligung an der „Produktion von Unterschieden“ im routinierten und nur bedingt bewusst kontrollierten Doing Gender in den Interaktionen der Elementarpädagog*innen nicht erkannt werden und steht in der Folge zur Weiterentwicklung der pädagogischen Professionalität nicht zur Verfügung.
(Claudia Schneider)

Julia Sparmann (2018): Lustvoll körperwärts. Körperorientierte Methoden für die Sexuelle Bildung von Frauen

161 Seiten, Psychosozial-Verlag, Preis: 20,50€

Als Beitrag für die Angewandte Sexualwissenschaft hat die Sexualwissenschaftlerin und Sexologin Julia Sparmann eine Methodensammlung zusammengestellt, die explizit darauf abzielt, den Körper und die Sexualität von Frauen in das Zentrum zu stellen. Sie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der über vier Ebenen erreicht werden soll: Wohnen im eigenen Körper; Atem-Stimme-Sprache; Muskeltonus und Bewegung; Berührung. Zu den vier Ebenen gibt es jeweils spezifische Methoden mit verschiedenen Schwierigkeits- oder auch Intimitätsgraden, über welche in Gruppen, in Paaren oder auch einzeln eine Sensibilisierung für das eigene Körperempfinden und die eigene Sexualität stattfinden soll.
Julia Sparmann operiert mit Ansätzen aus der Theaterpädagogik, dem Achtsam­keitstraining, aus der Körperpsychotherapie, der Musikpädagogik, dem Sexcorporel Ansatz oder neo tantri­schen Konzepten. Teils hängen die Methoden zusammen bzw. bauen aufeinander auf, andererseits können sie frei miteinander verbunden oder einzeln angewendet werden. Dazu ist bei jeder Methodenbeschreibung erst ein grober Überblick angegeben, anschließend kommt eine jeweils spezifische Kontextualisierung und Zielbeschreibung, und dann folgt eine genaue Anleitung, die Schritt für Schritt mit Beispielen begleitet wird. Die Beschreibung der Schritte folgt so genau, dass sich sehr gut daran orientiert werden kann und die Methoden recht ‚einfach‘ rekonstruiert werden können. Doch ‚einfach‘ ist bei solch intimen Themen und bei körperorientierten Ansätzen fehl am Platz. Genau darauf weist Julia Sparmann in der Einführung hin. Sie geht sehr genau auf das Setting der Methoden ein und beschreibt den Anspruch des Handbuches, die Zielgruppen, die Gruppengrößen, die Kursvarianten, den Zeitaufwand etc. Sie betont, dass bei der Anwendung körper­orientierter Methoden eine verantwortungsvolle und ausgebildete Leitung unabdingbar ist, da die Leitung den Rahmen jeder Gruppe gestaltet und für ein geschütztes, vertrautes und offenes Umfeld sorgen sollte. Die Leitung muss auch imstande sein, die Wirkungen der Methoden abschätzen und dementsprechend darauf reagieren zu können. Erfahrung mit den diversen Methodenansätzen und auch Zusatzqualifikationen sind eine wichtige Voraussetzung für die Leitung.
Kompakt und dennoch anspruchsvoll gelingt es Julia Sparmann eine überaus spannende Sammlung diverser körperorientierter Methoden für Expert_innen in der Sexualpädagogik oder auch Sexualtherapie zu gestalten, wo ich mir als Nicht-Expertin während des Lesens bei so manch einer Methode gewünscht habe, sie ebenfalls mal erleben zu können.
(Miriam Taumberger)

Chimamanda Ngozi Adichie (2017): Liebe Ijeawele … Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden

80 Seiten, Fischer Taschenbuch Verlag, Preis: 8€

Die 1977 in Nigeria geborene Autorin veröffentlicht mit diesem Bändchen einen Brief an ihre Freundin, die Mutter einer Tochter geworden ist. Sie sieht diesen Brief als „eine Art Landkarte für mein eigenes feministisches Denken“ und sie will darüber sprechen, „wie man Kinder anders erziehen, wie man eine gerechtere Welt für Frauen und Männer erschaffen kann“ (S. 8). Dazu liefert Chimamanda Ngozi Adichie 15 Vorschläge. Sie schlägt ihrer Freundin vor, sich nicht nur über die Mutterrolle zu definieren, sie sieht den Vater als ebenso wichtigen Akteur in der Kinderbetreuung wie die Mutter, sie wendet sich gegen Zuschreibungen, die Mädchen aufgrund ihres Geschlechts erfahren („Die Fähigkeit zu kochen ist nicht vorinstalliert in einer Vagina“ (S. 23)), sie bezieht Stellung gegen einen „Feminismus light“ und für die vollständige Gleichheit der Geschlechter, sie rät das Lesen zu fördern (notfalls gegen Bezahlung), sie empfiehlt, Sprache zu hinterfragen und sehr bewusst zu benützen, sie geht auf die Ehe ein („Eine Ehe kann glücklich oder unglücklich sein, aber nie eine Errungenschaft.“ (S. 42)), sie spricht sich gegen das Gefallen-Wollen aus, ermutigt aus der Kultur, in der jemand aufwächst, das zu nehmen, das gut ist/tut und das andere aufzugeben, sie weist auf Machtverhältnisse hin (deretwegen die Tochter „mit Bildern weißer Schönheit, weißer Fähigkeiten und weißer Errungenschaften aufwachsen wird“ (S. 54) und empfiehlt über Privilegien und Ungleichheit zu sprechen, einen Vorschlag widmet sie dem Thema Aussehen und Sport und empfiehlt, die Tochter mit Tanten und Onkel zu umgeben, die ihr Vorbild sein können, sie richtet sich gegen biologistische Argumente, die Privilegien rechtfertigen, sie legt nahe über Sexualität zu sprechen, der Tochter eine Sprache für die Geschlechtsteile zu geben und ihr beizubringen, „die Verbindung von Scham und weiblicher Biologie abzulehnen“ (S. 69), sie spricht über Liebe (und geht dabei davon aus, dass die Tochter heterosexuell ist: „Sie muss es natürlich nicht sein. Aber ich nehme es an, weil ich darüber am besten Bescheid weiß und sprechen kann.“ (S. 71)), sie verwehrt sich dagegen, Unterdrückte zu Heiligen zu erklären, und zuletzt spricht sie davon, die Erkenntnis zu vermitteln, „dass Vielfalt normal ist“ und z.B. davon zu erzählen, dass „ein kleines Kind zwei Väter oder zwei Mütter haben kann, einfach weil es so ist.“ (S. 79)
Chimamanda Ngozi Adichie schreibt sehr einfühlsam, sehr prägnant, sehr nachvollziehbar und auch witzig („Hast du Kopfschmerzen, nachdem du diesen Brief gelesen hast? Tut mir leid. Dann solltest du mich nie wieder fragen, wie du deine Tochter feministisch erziehen sollst.“ (S. 79) Ein Büchlein, das auch in der Schule gelesen werden kann und vielleicht dazu anregt, sich zu fragen, wie der eigene Brief zur Geburt einer Tochter ausgefallen wäre und, ob/wie sich dieser zu einem Brief zur Geburt eines Sohnes oder zur Geburt eines Kindes unterscheiden würde.
Wermutstropfen (zumindest in der Übersetzung ins Deutsche): manchmal findet sich nur die männliche Form (Köche, Wissenschaftler, Sänger (S. 35)), wo nicht nur ein Geschlecht gemeint ist.
(Renate Tanzberger)

 

Doris Guggenberger (2017): Der lange Weg. Von der Mädchenbildung zu Gender und Diversität. Ein halbes Jahrhundert Schulpolitik zur Gleichstellung von Mädchen und Burschen in Österreich.

796 Seiten, LIT Verlag, Preis: 69,90 €

Doris Guggenberger war bis 2013 Abteilungsleiterin für Gleichstellungsfragen im öster­reichischen Bildungsministerium, zuerst zuständig für „ressortspezifische Frauenfragen“, dann für „Mädchen- und Frauenbildung“, für „geschlechtsspezifische Bildungsfragen“, schließlich für „Gender Mainstreaming/ Gleichstellung und Schule“. Bereits an den sich ändernden Abteilungsbezeichnungen lassen sich die bildungspolitischen Aktionsfelder ablesen, die sie ab den 1960er Jahren nachzeichnet: geschlechtsgebundene Bildungs­inhalte (vor allem in Werkerziehung und Hauswirtschaft), Koedukation, sprachliche Gleichbehandlung, Schulbücher, Berufsorientierung, Gewaltprävention, Migration, schulische Qualitäts­entwicklung, Lehrerinnen- und Lehrer-Ausbildung, Gender Gaps in den Schul­leistungen (Stichwort PISA u.a.), Bildungs- und Berufswahlverhalten, früher Bildungsabbruch, ... – die Themen sind vielfältig, die grundlegenden gendertheoretischen Konzepte veränderten sich. Beeindruckend ist die Zahl der gleichstellungsorientierten Maßnahmen der österreichischen Bildungspolitik, die oft gemeinsam mit Expert*innen von NGOs entwickelt und umgesetzt wurden und werden. Gleichzeitig ist das Beharrungs­vermögen von Akteur*innen, Bildungsorganisationen und Gesellschaft ernüchternd. In den letzten über 50 Jahren war nicht nur ein langer Weg zurückzulegen, auch ein langer Atem war notwendig.
Das Buch ist spannend zu lesen wie ein Krimi, der gleichstellungspolitische Rahmen auf internationaler Ebene, vor allem aber die beeindruckend detailliert recherchierten Quellen auf nationaler Ebene (Sitzungsprotokolle, stenografische Protokolle, Resolutionen, Leser*innenbriefe) mit der Darstellung der Positionen aller relevanten Akteur*innen bringen das „Fleisch auf die Knochen“ der Rundschreiben, Erlässe und Gesetzestexte.
Die Abteilung „Gender Mainstreaming/ Gleichstellung und Schule“ – geleitet von Guggenbergers Nachfolgerin Roswitha Tschenett – wurde im Rahmen der Umstrukturierung des Ministeriums im Frühjahr 2018 aufgelöst und in die Abteilung „Gleichstellung und Diversitätsmanagement“ des BMBWF integriert. Zu hoffen ist, dass die lange Aufbauarbeit dadurch an politischer Bedeutung gewinnt – auch wenn die aktuelle österreichische Geschlechterpolitik etwas anderes befürchten lässt.
(Claudia Schneider)

 

Liv Strömquist (2017): Der Ursprung der Welt

140 Seiten, avant-verlag, Preis: 19,95€

Liv Strömquist ist eine schwedische Politikwissenschaftlerin, die in dem Buch „Der Ursprung der Welt“ mit ihrem kritischen und künstlerischen Geist als Comic­zeichnerin die Kulturgeschichte der Vulva aufarbeitet. Mit einer herausragenden Mischung aus Ironie, Witz und Wissen bietet sie auf 140 Seiten einen interes­santen und vielseitigen Einblick in den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht.
Die ironische Erzählweise lässt eine_n manche Inhalte leichter verdauen, lässt staunen und schmunzeln. Bereits im ersten Teil des Comics, „Männer die sich zu sehr dafür interessieren was als ‚das weibliche Geschlechtsorgan‘ bezeichnet wird“ nimmt sie eine_n auf eine historische Reise der „Entdeckung“ der Vulva mit. Sie skizziert eine ausgewählte Rekonstruktion diverser geschichtlicher Ereignisse, um einen Einblick in dessen Komplexität zu gewähren. Durch ihre ironischen Auslegungen gewisser Inhalte, zeigt sie die Absurdität dieser vermeintlichen „Entdeckungen“ rund um das weibliche Geschlecht. Dabei reicht es meist aus, die Protagonist_innen mit einem Hauch von Fantasie einfach selbst sprechen zu lassen.
Auch wenn manchmal Wikipedia als Quelle angegeben ist und der Comic mit fantasievollen Dialogen bestückt ist, verliert er dennoch nicht an inhaltlicher Aussagekraft. Mit einer ungewöhnlichen Raffinesse gelingt es der Autorin, inhaltlich und gesellschaftlich komplexe Entwicklungen einerseits sehr einfach darzustellen, andererseits kann sie auch belesene Feministinnen_Feministen mit den vielseitigen Perspektiven überraschen.
Es gelingt ihr mit ihrem Comic sowohl in bildlicher als auch schriftlicher Darstellung tief in die Geschichte einzutauchen als auch aktuelle Problematiken anzusprechen. Sei es die Vulva an sich, die Menstruation, der Orgasmus oder auch Rollenerwartungen an Mädchen und Frauen, durch die Art und Weise wie Liv Strömquist die Pathalogisierung der weiblichen Sexualität aufarbeitet, bietet sie Wissen an, über welches Empowerment geschaffen werden kann. Ihre Ironie ist ansteckend und sie bringt eine Leichtigkeit in den Umgang mit solch vermeintlich „tabuisierten“ Thematiken. In diesem Sinne kann ich diesen Comic als spannende und witzige Lektüre nur weiterempfehlen.
(Miriam Taumberger)

 

Tupoka Ogette (2017): exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen.

131 Seiten, Unrast Verlag, Preis: 13,20 €

Eine weit verbreitete Annahme hierzulande ist, dass Rassismus ein individueller, bewusster Fehltritt der Anderen („böser“ Menschen aus der rechten Ecke) sei, der sich in vorsätzlichem oder absichtlichem Sprechen und/oder Tun äußert. Weil Rassismus aus dem kollektiven Bewusstsein und vor allem unserem Selbstbild verbannt ist, wird er daher auch nicht als solcher erkannt, aber immer und immer wieder reproduziert.

Tupoka Ogette, Afrikanistin und Expertin für Antidiskriminierung aus Leipzig, hat mit exit RACISM ein „Mitmach-Buch“ verfasst. Sie erklärt Rassismus und Konzepte wie Othering, liefert historische Informationen zum „Herauswaschen“ von Wissens­beständen, zur rassistischen Dimension der Aufklärung oder zu Philosophen wie Kant oder Hegel. Neben diesen Inputs auf der Wissensebene hält das Buch vor allem interaktive Elemente bereit. Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, sich aber damit auseinanderzusetzen beginnen, durchlaufen emotionale Phasen im Umgang mit dem eigenen Rassismus: Negieren, Abwehr, Scham, Schuld, schließlich Anerkennung. Die Reflexion von weißen Privilegien, der Wirkmächtigkeit von Sprache („woher kommst du?“), von Abwehrmechanismen wie „derailing“ ermöglicht und unterstützt Ogette durch ihren Schreibstil: weniger akademisch, vielmehr fühle ich mich persönlich angesprochen wie ein*e Teilnehmer*in ihrer Workshops. Ergänzt wird der eigene rassismus­kritische Weg durch Logbuch-Einträge von Ogette’s ehemaligen Studierenden, die ihre emotionalen Lern­prozesse dokumentieren und reflektieren und somit nachvollziehbar machen.

Für die Analyse von institutionellem Rassismus in pädagogischen Kontexten (Übertrittsempfehlungen, Sprach-„Förderungen“, Wissensvermittlung in Schulbüchern) liefert das Buch Einstiegspunkte und weiterführende Hinweise.
(Claudia Schneider)

 

Glockentöger, Ilke/ Adelt, Eva (Hg.) (2017): Gendersensible Bildung und Erziehung in der Schule. Grundlagen – Handlungsfelder – Praxis.

238 Seiten, Waxmann Verlag, Preis: 30,80€

Die Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule (QUA-LiS NRW) verfolgt mit der Herausgabe der Reihe „Beiträge zur Schulentwicklung“ das Ziel, Personen mit schulrelevanten Themen vertraut zu machen und sie mit Theorie und Praxis bei der Umsetzung in Schule und Unterricht zu unterstützen. Der vorliegende Band widmet sich dem Thema gendersensible Bildung, wobei Barbara Rendtorff in ihrem Beitrag sehr anschaulich die Unschärfe sowohl von „sensibel“ als auch von „gender“ verdeutlicht. Im Grundlagenteil beschäftigt sich Katharina Debus in Anlehnung an Hannelore Faulstich-Wieland mit Dramati­sie­rung, und Entdramatisierung und ergänzt dieses Konzept um Nicht-Dramatisie­rung und Kristin Behnke widmet sich kritisch dem vermeintlichen Schaden (vor allem für Buben/Burschen) durch die Feminisierung von Bildung.

Im Kapitel „Handlungs­felder“ werden die Bereiche Berufsorientierung, Sexualpädagogik und Schulsozialarbeit beleuchtet. Im dritten und längsten Teil geht es um Praxisbeispiele wie gender­bewusste Arbeit im Kollegium, Gender Mainstreaming, Sport, Geschichte, etc. Christine Biermann berichtet, wie geschlechterbewusste Pädagogik seit mehr als 25 Jahren Thema an der Laborschule in Bielefeld ist und sich auch verändert hat (für mich besonders spannend zu lesen, war ich doch 1989 an eben dieser Schule, um für meine Diplomarbeit den dortigen – sehr praxisbezogenen – Mathematik­unterricht zu beobachten).

Der Band bietet wichtiges Grundlagenwissen, viele Anregungen für einzelne Lehrkräfte, aber auch in Richtung Schulentwicklung, kritisiert (je nach Beitrag in unterschiedlichem Ausmaß) das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität und thematisiert, welche Fragestellungen sich daraus für die Praxis ergeben (ob beispielsweise noch in Mädchen- und Jungengruppen geteilt werden kann/soll).
(Renate Tanzberger)

 

"Gemachte Verhältnisse: Forschungsperspektiven auf Kindheit, Jugend und Geschlecht" (= Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Heft 3, 8.Jahrgang 2016).

172 Seiten, Verlag Barbara Budrich, Preis: 21,90€

Das Anliegen des Themenheftes ist es, Gender- und Kindheits- bzw. Jugendforschung zusammenzuführen:

Bettina Kleiner untersuchte im Rahmen von narrativen Interviews mit LGBTQ*-Jugendlichen, wie Gender oder Begehren in deren Schulbiografien relevant werden: wie in alltäglichen schulischen Praktiken und beiläufigen Interaktionen geschlecht­liche und sexuelle Subjekte hervorgebracht werden, wie Geschlechternormen (re)artikuliert werden und LGBTQ*_Jugendliche Diskriminierungen und Beleidigun­gen ausgesetzt sind, und welche expliziten widerständigen Handlungs­möglich­keiten sie erzählen – indem sie eigene Lebenswelten u.a. durch Bezugnahmen auf Bücher und Filme mit lesbischen oder schwulen Inhalten oder durch Körperinszenierungen sichtbar machen.

Wie in Kindertageseinrichtungen Geschlecht von den Akteur_innen im Feld hergestellt und mit welchen Relevanzsetzungen es im pädagogischen Alltag verknüpft wird, beschreibt Melanie Kubandt. Sie zeigt im Rahmen ihrer ethnografischen Untersuchung, wie Kinder die Starrheit der Dichotomie und den Zwang, sich einem Geschlecht zuzuordnen, mit kreativen Zwischenformen unterlaufen. Die weiblichen pädagogischen Fachkräfte konstruieren sich in der Studie auf unterschiedlichen Ebenen als neutral: als bloße Beobachterinnen; im Gegensatz zu männlichen Fachkräften; in ihrer Haltung („wir behandeln alle gleich“); sowie als Nicht-Beteiligte am Prozess der Stereotypenbildung. Diese neutrale Selbstpositionierung geht Hand in Hand mit dem Dilemma, dass die elementarpädagogischen Bildungspläne Geschlecht einerseits als Ausgangspunkt für mögliche Probleme, als Risikofaktor für Ausgrenzung und Bildungsbenachteiligung konzipieren, andererseits Unterschiede im Sinne von „Anerkennung von Verschiedenheit“ positiv zu berücksichtigen sind.

Lars Burghardt und Florian Cristobal Klenk kommen in ihrer Analyse von Geschlechterdarstellungen in Bilderbüchern, die aktuell in deutschen Kindertagesstätten genutzt werden, zu dem Ergebnis, dass deren Protagonist_innen in Bezug auf Aussehen und Verhaltensweisen geschlechterstereotype Merkmale zeigen und einem heteronormativen Paradigma verhaftet bleiben.

Schmid u.a. untersuchten im Rahmen von qualitativen Interviews Lebens- und Selbstkonzepte von Mädchen in der Ostschweiz. Mit zunehmendem Alter entwickeln diese eine deutliche Tendenz zu geschlechter­stereotypen Zukunftsvorstellungen – v.a. in Bezug auf Berufswahl und Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit.

Sophie Domann und Tanja Rusack untersuchten Vorstellungen von Jugendlichen von Gender, Beziehungs­formen und Sexualität im Rahmen der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie in der Heimerziehung; demnach bleiben die Jugendlichen überwiegend in der heterosexuellen Matrix verhaftet und vertreten eher stereotype Vorstellungen von Gender und Sexualität, was durch pädagogische Angebote meist gestützt wird. Die Autor*innen plädieren daher für einen Ausbau partizipativ ausgerichteter sexualpädagogischer Angebote.
(Claudia Schneider)

 

Balzter, Nadine/ Klenk, Florian Cristoba/ Zitzelsberger, Olga (Hg.) (2016): Queering MINT: Impulse für eine dekonstruktive Lehrer_innenbildung

317 Seiten, Budrich Verlag, Preis: 34,90€

Ausgangpunkt der Publikation war das Lehr- und Forschungsprojekt der Technischen Universität Darmstadt „Gender-MINT: Qualitätsverbesserung der Unterrichtsqualität in den MINT-Fächern“ (neben Mathematik, Informatik, Natur­wissenschaften und Technik taucht hier auch die Sportwissenschaft auf). Anliegen der Herausgeber_innen und Autor_innen ist es, „Marginalisierungen, Ausschlüsse, Benachteiligungen und Diskriminierungen, die mit der Kategorie Geschlecht und sexuelle Orientierungen in Verbindung stehen, im Kontext der Bildungsinstitution Schule aufzuzeigen und in der Konsequenz abzubauen.“ [S. 7]

Der Band gliedert sich in drei Teile: Neben der Bedeutung geschlechterwissenschaftlicher Theorien für Pädagogik und Bildung geht es um gender- und queerinformierte Ansätze in den MINT-Fächern sowie um dekonstruktive Impulse für die Lehrer_innenbildung.
Der Sammelband liefert einen wichtigen Beitrag sowohl für die Frage, inwieweit (hetero-)normativitäts­kritische Ansätze in den MINT-Fächern zu finden sind als auch dahingehend, in welche Richtung sich die Ausbildung verändern müsste, um in dieser Hinsicht zu einer Professionalisierung von Lehrer_innen beizutragen.

Für Personen, die sich bisher nicht mit Queertheorie beschäftigt haben, ist dieses Buch ein sehr hochschwelliger Einstieg; für Personen, die mit der Thematik vertraut sind, bieten sich vielfältige Denkanregungen (Astrid Messerschmidt kritisiert beispielsweise die entpolitisierte Verwendung des Begriffes Intersektionalität [S. 52f], Jutta Hartmann spricht die Gefahr an, „über das alleinige Ziel einer enthierarchisierenden Sichtbarmachung und Anerkennung von lgbt*i-Identitäten die damit verbundenen vorgängigen normativen Diskurse zu bestätigen, die Machtstrukturen, die die bestehenden Identitäts­ordnungen als solche überhaupt erst hervorbringen, zu reproduzieren, ohne sie zu überdenken“ [S. 40], Nadine Baltzer u.a. gehen der Frage nach, inwieweit Genderkompetenzorientierung sich auch als anschlussfähig an neoliberale Rationalisierungsstrategien erweist [S. 216], es wird aber auch eine Salon Management-Programm vorgestellt, dessen „Autogender“-Funktion von Sylvia Weyrauch kritisch beleuchtet wird [291]).
(Renate Tanzberger)

 

"Geschlechterkonstruktionen in schulischen Handlungsfeldern" (= Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Heft 1, 7. Jahrgang 2015).

168 Seiten, Barbara Budrich Verlag, 21,90€

Das Themenheft versammelt Forschungsbeiträge der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung und behandelt Prozesse der Konstruktion von Geschlecht durch Schüler*innen, Lehrer*innen und angehenden Pädagog*innen.
Wie die soziale Passfähigkeit von weiblichen Peerkulturen durch Schülerinnen und Lehrkräften hergestellt wird und welchen Einfluss Differenzkategorien – soziales Herkunftsmilieu, Schulform und Ruf der Schule – in Verbindung und Verwobenheit mit Geschlecht haben, analysieren Aktan et al. in ihrem Beitrag „Brave Mädchen“?
Geschlechterkonstruktionen beim Pausenspiel von Grundschulkindern untersucht Eckermann anhand ethnografischer Beobachtungsprotokolle. Er erkennt unter­schied­liche „Aktivierungsgrade“ von Geschlecht: von Dramatisierungen bis zu Mög­lichkeiten, die Kinder nutzen, um (Geschlechter-)Grenzen zu überschreiten. Dass die wissenschaft­lichen Beobachtungspraktiken mitunter selbst Praktiken der Unterscheidung sein können, wird kritisch angemerkt.
Die Befunde zur geschlechtersegregierten Berufswahlen aufgreifend untersuchen Faulstich-Wieland und Schober in einem multimethodischen Forschungsprojekt das fachübergreifende schulische Angebot zur Berufsorientierung in Hamburg. In ihrem Werkstattbericht analysieren sie implizite und explizite Vergeschlechtlichungen sowohl in Unterrichtssituationen als auch in den eingesetzten Berufe-Videos. Ihre Befunde könnten als Grundlage für eine österreichische Bestandsaufnahme herangezogen werden.
Die auf der Karl-Franzens-Universität Graz lehrende Sabine Klinger beschreibt in ihrer auf Gruppen­diskussionen mit Studierenden der Erziehungs- und Bildungswissenschaften beruhenden Studie die Notwendigkeit, diese mit reflektiertem und reflektierendem Geschlechterwissen sowie entsprechenden Handlungskompetenzen „auszustatten“.
(Claudia Schneider)

 

Berg-Ehlers, Luise (2016): Unbeugsame Lehrerinnen. Frauen mit Weitblick.

184 Seiten, Elisabeth Sandmann Verlag, Preis: 24,95€€

Es ist ja heute kaum mehr vorstellbar, aber lange Zeit war der Lehrberuf Männern vorbehalten und Frauen mussten dafür kämpfen, dass sie eine angemessene Bildung erhalten und diese auch weitergeben durften. Die Autorin lenkt den Blick in diesem graphisch sehr ansprechenden Buch auf Gouvernanten, auf Pionierinnen, die sich für Frauenrechte und Mädchenbildung einsetzten, widmet ein Kapitel der Wilhelm-Raabe-Schule in Lüneburg und schließt mit dem Thema der Lehrerin in Literatur und Film (hier finden sowohl „Mädchen in Uniform“ als auch Rowlings „Harry Potter“ Erwähnung).
Das Buch lebt von den tollen Fotos, dem Quellenmaterial, das zitiert wird und den Kurzbiografien kämpferischer Frauen. Das Schwergewicht des historischen Rückblicks liegt auf Großbritannien und Deutschland, aber der Italienerin Maria Montessori und der Österreicherin Eugenie Schwarzwald werden ebenso einige Seiten gewidmet wie der Entwicklung des (Frauen-)Lehrberufs in der Schweiz. Fast ganz am Ende wird neben der Kategorie Geschlecht noch jene der Herkunft sichtbar gemacht und die nahe Ramallah geborene und in Duisburg unterrichtende Tagrid Yousef portraitiert, die 2012 den „Deutschen Lehrer(!)preis“ als Vertrauens- und Biologielehrerin erhielt.
Ein schönes Geschenk, sehr lesenswert, ein Folgeband über unbeugsame Lehrerinnen diverser anderer Länder / Kontinente wäre wünschenswert.
(Renate Tanzberger - veröffentlicht im Weiberdiwan Ausgabe Frühjahr/Sommer 2016)

 

Madubuk, Nkechi (2016): Empowerment als Erziehungsaufgabe - Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen

152 Seiten, Unrast-Verlag, 12,80€

Nkechi Madubuko thematisiert auf Basis ihrer Studie „Akkulturationsstress von Migranten – Eine Studie zu berufsbiographischen Akzeptanzerfahrungen und angewandten Bewältigungsstrategie“ (2010) und den Erkenntnissen inter­kulturel­ler Psychologie die problematischen Folgen von Rassismus und Ausgrenzungserfahrungen.
Anhand konkreter Beispiele von afrodeutschen Kindern, Kinder aus Sinti/Roma Familien, muslimischen Kindern und jüdischen Kindern beschreibt die Autorin rassistische und diskriminierende Situationen im Alltag und zeigt konkrete Handlungsanleitungen für Eltern im Umgang mit Rassismus in Schulen, Kinder­tagesheimen und im Alltag auf.
In Bezugnahme auf pädagogische und psychologische Ansätze stellt Madubuko verschiedene Elemente von Empowerment („Selbstermächtigung/ Selbstbe­fähigung“) vor: Identitätsfindung, emotionale Distanzierung von Rassismus­erfahrungen, kritisches Denken und Wissen über die Hintergründe von Vorurteilen und Rassismus.
Die Autorin fordert zur Reflexion der eigenen Erfahrungen und des eigenen Umgangs mit Rassismuserfahrungen auf, um Kinder und Jugendliche noch besser als Vertrauenspersonen unterstützen zu können und zeigt auch problematische Verhaltensweisen auf. Zusätzlich zum sozialen Rückhalt, der Liebe, der vorurteilsbewussten Erziehung und der aktiven Gegenwehr der Eltern sieht Madubuko empowernde Jugendgruppen als wichtige „geschützte Räume“, um Erlebtes thematisieren und verarbeiten zu können.
Das Buch ist in leicht verständlicher Sprache geschrieben und richtet sich vorrangig an Eltern, die in Deutschland leben. Es eröffnet aber auch Personen, die im beruflichen Kontext mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, neue Perspektiven und bietet interessante Handlungsvorschläge für die Praxis.
(Elisabeth Auer)

 

Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (Hg.) (2015): Glossar der Neuen deutschen Medienmacher. Formulierungshilfen für einen diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch in der Bildungsarbeit in der Migrationsgesellschaft

60 Seiten, Preis: 3€ Versandkostenpauschale + Portokosten, Bestellungen: www.idaev.de/publikationen/bestellformular
Das Glossar des Vereins „Neue deutsche Medienmacher“ wird seit 2011 für Medienschaffende verfasst und ständig erweitert. 2015 wurde das Glossar erstmals gemeinsam mit dem Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit weiterentwickelt und für den Bereich Bildungsarbeit neu herausgegeben.
Beginnend mit einer Einleitung zur Bedeutung von diskriminierungssensiblem Sprachgebrauch wird in sechs Kapiteln auf folgende Bereiche eingegangen: Wer sind „wir“, wer sind „die Anderen“?, Migration, Kriminalität, Musliminnen und Muslime, Jüdinnen und Juden, Flucht und Asyl.
Das Glossar soll als Gedankenanstoß und als Möglichkeit zur selbstkritischen Reflexion des eigenen Sprachgebrauchs dienen und will auch die Sichtweise von Minderheiten deutlich darstellen und so zu einem Perspektivenwechsel anregen. Die Begriffe sind farblich hervorgehoben, werden aus kritischer Perspektive erklärt und gemeinsam mit empfohlenen Alternativbegriffen dargestellt.
Obwohl den Autor*innen eine geschlechtergerechte Sprache wichtig ist, wird im Glossar meist nur die männliche Form verwendet. Als Begründung wird angegeben, dass damit jene erreicht werden sollen, die keine geschlechtergerechte Sprache verwenden oder verwenden dürfen. Formulierungen im Zusammenhang gesetzlicher Richtlinien beziehen sich nur auf den deutschen Kontext; hier muss der österreichische Kontext selbst ergänzt werden.

Das Glossar ist eine wichtige Handreichung zur Reflexion und Förderung diskriminierungssensibler Sprache, die sich nicht nur zur einmaligen Lektüre eignet, sondern als gutes Nachschlagewerk dient.
(Elisabeth Auer)

 

Wedl, Juliette/ Bartsch, Annette (Hg.) (2015): Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung.

564 Seiten, transcript Verlag, 34,99€

Der Sammelband richtet sich an Lehrer_innen, Sozialarbeiter_innen, (Lehramts-) Studierende, Wissenschaftler_innen und alle anderen Praktiker_innen und Interessierte im und am Umfeld von Schule und Jugend. In 27 kürzeren, nach Themenfeldern sortierten Artikeln, wird den Fragen nachgegangen, wo, wie und wann in der Schule und in der Lehramtsausbildung Gender eine wichtige Rolle spielt und wie aktuelle Erkenntnisse der Gender Studies in den Unterricht einfließen können. Auf diese eher theoretischen Auseinandersetzungen folgen praxisnahe und konkrete Unterrichtsentwürfe und Strategien zur Einbindung von Geschlechteraspekten in den Schulunterricht in verschiedenen Schulstufen und -formen. Auch für die Integration von Geschlechteraspekten in die Lehramts-ausbildung werden Seminarkonzepte vorgestellt. Der Sammelband wird am Ende mit einer umfassenden Link- und Materialsammlung abgerundet.
Die Autor_innen des Sammelbandes können mit ihren Analysen und Handlungsvorschlägen dabei wichtige Beiträge leisten, stereotypen Vorstellungen und Naturalisierungen von Geschlecht an der Schule entgegenzuwirken und aufzuzeigen, dass ungleiche Geschlechterverhältnisse auch an der Schule (re-)produziert werden. Die vielfältigen und spannenden Methoden, wie z.B. biographie-orientierte und selbstreflexive Seminare in der Lehramtsausbildung oder die Arbeit mit Romanen, Bildern, Theater und Computerprogrammen in der Schule, zeigen auf, wie abwechslungsreich die Beschäftigung mit Geschlechteraspekten sein kann und wie sich diese nicht nur in Gesellschaftslehre, Sachkundeunterricht oder Politik, sondern auch in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Musik oder Ethik integrieren lassen.
Der Sammelband „Teaching Gender“ inspiriert mit vielfältigen Methoden und praxisnahen Konzepten zur Integration von Gender in ein breites Fächerspektrum. Eine Leerstelle bildet einzig der Sportunterricht. Die theoretische Hinführung zum Thema bietet auch Menschen ohne viel Vorwissen die wichtigsten Grundlagen der aktuellen Erkenntnisse der Gender Studies. Die einzelnen Artikel fokussieren dabei unterschiedliche theoretische Schwerpunkte. Eine intersektionale Perspektive auf die Verflechtung von Sexismus mit anderen Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus oder Klassismus bieten leider nur wenige Artikel – trotzdem ist der Sammelband eine wichtige und bereichernde Weiterführung der Auseinandersetzung mit Geschlechteraspekten in der Pädagogik.
(Lena Deser)

 

Rieken, Ingrid/ Beck, Lothar (Hg.) (2014);  Gender – Schule – Diversität. Genderkompetenz in der Lehre in Schule und Hochschule

176 Seiten, Marburger Schriften zur Lehrerbildung | Band 10, Tectum Verlag, 24,95€

Dieses Buch entstand aus einer Vortragsreihe und einer Tagung der Universität Marburg, wobei der Frage nachgegangen wurde, wie Genderkompetenz in der Ausbildung von Lehrenden – speziell der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) – vermittelt werden kann. Die verschiedenen Beiträge widmen sich Fragen wie: „Welche Gründe gibt es, warum immer noch wenig Frauen in den MINT-Bereichen zu finden sind?“, „Warum ist die Thematisierung von Geschlecht weiterhin wichtig, obwohl es Einwände dagegen gibt?“, „Wie können verstärkt   Mädchen – und nicht-technikaffine Jungen – für die MINT-Fächer gewonnen werden?“
Darüber hinaus werden speziell die Fächer Mathematik, Chemie, Physik beleuchtet, beim Fach Physik geht es auch um die inklusiven und exklusiven Wirkungsweisen des Faches im Vergleich zum Fach Deutsch. In einem Beitrag wird eine Genderqualifizierung für Studierende und für Lehrende der Pädagogischen Hochschule Bern vorgestellt.
Ich greife nun den Beitrag von Anna Mischau und Kati Bohnet „Mathematik ‚anders‘ lehren und lernen“ heraus, weil ich selbst Mathematik Lehramt studiert habe. Die beiden Autorinnen orten weniger in der Mathematik selbst oder bei den Schüler*innen die Ursache dafür, dass Mathematik als unbeliebtes Fach gilt, sondern vor allem in der Vermittlung des Faches Mathematik. Sie vergleichen einen gendersensiblen mit einem guten und sinnstiftenden Mathematikunterricht und betonen die Bedeutung der Lehr- und Lernformen, der Schulbücher und der Interaktionen für einen gendersensiblen Unterricht. Sie geben einen Einblick in die Inhalte eines Proseminars der Freien Universität Berlins und des daraus konzipierten  Workshops, in dem drei Beispiele in Form des Stationenlernens (zu den Themen Primzahlen, Bruchrechnen, Ellipsen) praktisch erfahren werden konnten. Von der Ellipsen-Einheit werden die Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt und die gendersensiblen Aspekte sichtbar gemacht. Auch wenn das Finden der Ellipsengleichung (wie die Autorinnen selbst schreiben) ohne Hilfe schwer möglich ist, kann ich mir vorstellen, dass die Lerneinheit Interesse für Mathematik weckt und  ihre vielfältigen Bezüge sichtbar macht.
Insgesamt ein empfehlenswertes Buch für Lehramtsstudierende sowie Lehrende an Schulen, Hochschulen und Universitäten.
(Renate Tanzberger)

 

Huch, Sarah/ Lücke, Martin (Hg.) (2015): Sexuelle Vielfalt im Handlungsfeld Schule. Konzepte aus Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik

308 Seiten, Transcript Verlag, 29,99€

Basis dieses Buches ist eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe „Diversität und sexuelle Vielfalt als Herausforderung für die pädagogische Praxis“ der Freien Universität Berlin 2012/13. Im Teil „Theoretische Grundlagen“ beschäftigt sich Martin Lücke mit Homo¬sexualitäten in den Bildungswissenschaften, Jutta Hartmann bezieht sich auf ihr Konzept der vielfältigen Lebensweisen (und schlägt beispielsweise vor, das Akronym LGBT*I um AQ  zu ergänzen), Hannelore Faulstich-Wieland fragt, welche Chancen Heterogenität bietet, Gudrun Perko stellt das „Social Justice und Diversity Konzept“ vor und Uwe Sielert beleuchtet (nicht nur) historisch sexuelle Vielfalt als Thema der Sexualpädagogik.
Im zweiten Teil wird beispielshaft erläutert, wie sexuelle Vielfalt in einzelnen Unterrichtsfächern (Geschichte, Politikunterricht, Biologie, Physik, Informatik) umgesetzt werden kann. Für jene, die Geschichte unterrichten, gibt es eine Anregung, wie männliche Homosexualität als Teil des historischen Lernens behandelt werden kann (inklusive Quellentexten!). Ein Beitrag zu „Liebe und Sexualität in der Kinder- und Jugendliteratur“ nimmt ebenfalls eine historische Perspektive ein, beschäftigt sich aber auch mit aktuellen Werken (1 ½ Seiten Primärliteratur laden zum Schmökern ein und geben Lehrkräften Anregungen für Klassenlektüre vielfältiger L(i)ebensweisen).
Bei den „weiteren Praxisfeldern“ widmet sich ein Beitrag der Frage, wie sexuelle Gesundheit in der Schule gefördert werden kann. Der Band schließt mit einem Artikel über queere Bildungsarbeit und lädt ein, Geschlecht und Sexualität im Plural zu denken.
Das Buch stellt eine gelungene Mischung zwischen theoretischen Grundlagen und Praxisorientierung dar und gibt Anregungen zum Denken und Handeln. Es wäre sehr wünschenswert, dass dieses Buch bzw. das Thema „sexuelle Vielfalt“ vermehrt Eingang in die Schule findet.
(Renate Tanzberger)

 

Schrupp, Antje/ Patu (2015): Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext

86 Seiten, Unrast Verlag 9,80€

Der kompakte Comic der Journalistin und Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp und der K ünstlerin PATU erzählt auf 85 Seiten die Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext. Er beginnt dabei bei der Antike und endet mit Kapiteln zu Queerfeminismus und dem sogenannten „Third Wave Feminism“. Auf der rasanten Zeitreise durch mehr als 2000 Jahre feministische Geschichte werden einzelne einflussreiche Feministinnen vorgestellt: die Frühsozialistin Flora Tristan, die Wanderpredigerin und ehemalige Sklavin Sojourner Truth, die besonders für den Queerfeminismus bedeutende Theoretikerin Judith Butler oder die Wissenschaftlerin und politische Aktivistin Angela Davis. Feminismus erscheint weder als einheitliche Bewegung noch vereinfacht unterteilt in drei Wellen, sondern als kontroverse und facettenreiche politische und theoretische Bewegung: thematisiert werden viele wichtige Debatten rund um Freie Liebe, das Verhältnis von Gleichheit und Differenz, Hausarbeit und Mutterschaft, die Kritik Schwarzer Feministinnen an der Dominanz weißer, bürgerlicher Perspektiven oder die Institutionalisierung der Frauenbewegung und die Auswirkungen des Gender Mainstreaming. Dabei wird der jeweilige historische Kontext kurz erwähnt, auch wenn aufgrund der kompakten Comic-Form für genauere Erklärungen kein Platz ist. Doch trotz seiner Kürze werden verschiedene Positionen differenziert dargestellt – und durch die Bebilderung und die humorvollen und oftmals ironischen Kommentare kommt keine Langeweile auf. Eine Leerstelle bilden allerdings osteuropäische feministische Kämpfe. Geeignet ist der Comic für alle jugendlichen und erwachsenen Leser*innen, die sich noch nicht (intensiv) mit der Geschichte des Feminismus beschäftigt haben und Lust auf einen kurzweiligen, humorvollen Überblick haben.
(Lena Deser)

 

Schmidt, Friederike/ Schondelmayer, Anne-Christin\ u.a. (Hg.) (2014): Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine.

402 Seiten, Springer Fachmedien 46,25€

Der vorliegende Sammelband tritt mit dem Anspruch an den Themenkomplex sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in einer möglichst breiten Ausformung Raum und Öffentlichkeit zu verschaffen. Dieses Vorhaben kann gerade aufgrund der sehr vielschichtigen Thematik als durchaus gelungen bezeichnet werden. So werden sowohl theoretische Auseinandersetzungen wie Praxisbezüge zu pädagogischen Bearbeitungs­formen erörtert als auch unterschiedliche Lebenswelten und -phasen von der Kindheit bis hin zum Alter in den Fokus genommen. Für die pädagogische Auseinandersetzung hinsichtlich der notwendigen Reflexion der eigenen Herangehensweise kann vor allem der Beitrag von Jutta Pohlkamp empfohlen werden, welcher die grundlegend hetero-hegemoniale Strukturierung in pädago­gischen Settings kritisiert und die Unverzichtbarkeit einer normativitätskritischen Perspektive unterstreicht (S. 75ff.). Wiederum Einblick in – und damit Wissen über – konkrete Lebenswelten von Menschen mit nicht-normativen Lebens­konzepten vermitteln die von Anja Karrasch porträtierten biografischen Erzählungen, anhand derer individuelle Bedürfnisse nach gesellschaftlicher Aner­kennung deutlich werden. Diese kurzen und prägnanten Texte eignen sich sehr gut um unterschiedliche Lebenskonzepte abseits massenmedialer Bilder näherzubringen. Ein gesamtes Kapitel ist der Lebensphase Kindheit, Jugend bzw. Familie an sich gewidmet und darin werden neben Familienmodellen, geschlechter­spezifischen Entwicklungen auch rechtliche, medizinische und mediale Aspekte erläutert. Darauf aufbauend werden vielfältige pädagogische Praxen in den Blick genommen, wobei jedoch der Schule der weitgehend größte Raum gewidmet wird. Dementsprechend wird die Institution und ihre Rahmenbedingungen an sich behandelt aber auch beispielsweise die didaktische Ebene von Schulbüchern als auch von Fachkulturen ausführlich debattiert. Beide Kapitel ermöglichen durch ihre vielschichtigen inhaltlichen Beleuchtungen einen breiten Einblick auf bestehende strukturelle Gegebenheiten und können damit vor allem auch Lehrpersonen uneingeschränkt und unbedingt als Lektüre empfohlen werden. Zur praktischen Anwendung im Unterricht finden sich – nach einem Kapitel zu Alter(n) – noch abschließend konkrete Methoden und Übungen zum Einsatz im Unterricht und anderen pädagogischen Settings um einen Transfer von erlangtem Wissen auch in die eigene pädagogische (Unterrichts-)Tätigkeit methodisch zu erleichtern und zu befördern. Insgesamt kann das vorliegende Werk daher als absolut empfehlenswert bezeichnet werden um eigene Kenntnisse zu der existierenden Vielfalt an sexuellen und geschlechtlichen Wirklichkeiten sowie zu deren Vermittlungs­möglichkeiten fundiert zu erweitern.
(Bärbel Traunsteiner)

 

Schneider, Erik/ Baltes-Löhr Christel (Hg.) (2014): Normierte Kinder. Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz

402 Seiten, transcript, 30,90€

Welche Effekte haben Geschlechternormen und Kategorisierungen von Identitäten auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen? Die konventionelle Annahme einer Zweigeschlechtlichkeit führt dazu, dass Kindern geschlechterrollentypisches Ver­halten beigebracht wird, um ihre Geschlechtsidentität herauszubilden. Die Autor_innen gehen den Gründen für diese Vorgehensweise nach, beschreiben die Kluft zwischen den geltenden Normvorstellungen und der Pluralität unterschiedlicher Lebensentwürfe und zeigen den Weg auf zu einer Kultur des Respekts und der gegenseitigen Anerkennung. Erstmals wird die Lebenssituation von Intersex- und Trans-Kindern interdisziplinär aus der Perspektive der Psychologie, der Medizin, der Erziehungswissenschaften, der Politik, der Menschenrechte und der Kunst betrachtet. Die Pluralität der Geschlechter sowie die Komplexität geschlechtlicher Existenzweisen, besonders von Kindern und Jugendlichen, wird deutlich. Innovativ ist, dass sich hier Autor_innen begegnen, die sich als sogenannte Professionelle mit der Thematik befassen und Intersex- und Trans-Personen, die ihre biographische Erfahrung als Wissenschaftler_innen professionell einbringen.
(Claudia Schneider)

 

SFC Schwarze Frauen Community Austria (2014): Meine Traum-Familie.

Illustrationen: Iwona Lapo, 40 Seiten, 17€

„Meine Eltern hören mir nie zu! Ich wünschte ich hätte eine Mutter mit der ich über meine Probleme sprechen könnte … Wenn wir uns eine Familie erträumen könnten, das wäre toll. Wie würde die ausschauen??“ – so beginnt dieses Kinderbuch, in dem es um unterschiedliche Familienkonzepte geht. Vom Leben als Richterin mit Mann und zwei Kindern, dem Wohnen in einem Mehrfamilienhaus gemeinsam mit anderen, dem Leben am Bauernhof gemeinsam mit Mutter, vielen Tieren, zwei Mädchenzwillingen ist ebenso die Rede wie vom Leben auf einer Yacht, in einem Baumhaus oder vom Zusammenleben mit der großen Schwester oder mit mehreren Generationen. Als Lebensorte werden Australien, London, Rio und Irland benannt und nach Nigeria werden die Kinder geschickt, wenn sie älter sind, um dort Igbo zu erlernen. All diese Ideen stammen von Schwarzen Kindern in Österreich, die „in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen werden“. (S. 3) Einen ganz besonderen Reiz des Buches machen die wunderschönen Illustrationen aus, die Farbgestaltung, die Darstellung der Kinder (auch als Erwachsene) in großer Vielfalt. Zwei leere Seiten laden dazu ein, die eigene Traumfamilie zu zeichnen oder zu beschreiben. Ganz am Ende sind noch Kinderzeichnungen abgedruckt – von den Autor_innen und deren Traumfamilien. Einziger Wermutstropfen: dass nur von Freunden und nicht von Freund_innen oder Freundinnen und Freunden die Rede ist.

Das Buch steht dankenswerter Weise hier auch als Download zur Verfügung. Ich würde aber auf jeden Fall empfehlen, das Buch zu kaufen. Das Buch ist im Büro der Schwarze Frauen Community (1150 Wien, Stutterheimstraße 16-18) erhältlich – telefonische Voranmeldung nötig: 01/789061240 oder 0680 / 30 20 517.
(Tanzberger Renate)

 

Ritter, Margaret/ Thorn, Petra (2015): Unsere Familie. Ein Buch für Solo-Mütter mit Wunschkindern nach Samenspende.

Illustration: Tiziana Rinaldi, 46 Seiten, FamART Verlag, 26€

„Wo komme ich eigentlich her?“ – eine Frage, die wohl jedes Kind sich früher oder später stellt. Die Beantwortung dieser wichtigen Frage fällt den Eltern dabei nicht immer ganz leicht, besonders wenn es sich um ein Familien¬modell handelt, das nicht unbedingt der öffentlich-propagierten Norm entspricht. Dieses Buch soll demnach Frauen dabei helfen, die sich ganz bewusst für eine künstliche Befruchtung entschieden haben, ihre Kinder spielerisch bei dieser wichtigen Frage der Aufklärung zu unterstützen. Mit den liebevoll gestalteten Illustrationen von Tiziana Rinaldi soll dem Kind somit aktiv vermittelt werden, auf welchem Wege es gezeugt worden ist. Die Autorinnen widerstehen hierbei jeglichen Versuchungen in das Märchenhafte abzurutschen. In einer kindgerechten Sprache wird die Entstehungsgeschichte des Kindes aufbereitet. Die Seiten 25 und 26 gibt es zweimal: einmal wird auf den Unterschied zwischen einer anonymen und über eine/n Arzt/Ärztin verabreichte Samenspende eingegangen, und einmal auf die Möglichkeit einer privaten Samenspende. Der Mutter wird somit die Möglichkeit geboten, die nicht passende Seite herauszureißen und somit das Buch auf ihre ganz persönlich-individuelle Geschichte abzustimmen. Abschließend finden sich anregende Beiträge von Frauen, die ähnliche Mutterschaftsgeschichten zu erzählen haben (u.a. auch die, der Autorinnen). In diesem Sinne handelt es sich bei „Unsere Familie“ um ein schön gestaltetes Buch für die Allerkleinsten und deren Müttern, das ich hiermit nur wärmstens empfehlen kann.
(Cornelia Lukas)

 

Ela, Michaela (2015): Ich bin ich. Mein Transsexuelles Leben.

hg. von Maria Braig, 123 Seiten, Verlag 3.0 Reihe ubutu, 2015. 12,20€ [als e-Book 4,99€]

„Transen laufen nicht nur in Reizwäsche herum, wollen nicht von morgens bis abends nur F…… Ihr Vokabular beinhaltet nicht ausschließlich >>Huch<< und >>Oh mein Gott<<. Ich möchte mitteilen, dass es auch >>normale<< Transfrauen gibt!“ (S. 15)

Die Geschichte von Micha Ela startet mit dieser „Ansage an die Welt“ (Wortlaut Micha Ela). Gleich zu Beginn möchte sie demnach klarstellen, was sie ihrer Meinung nach mit diesem Buch bewirken möchte, bzw. was es nicht sein soll. Auch Herausgeberin Maria Braig betont bereits im Vorwort, dass es sich hierbei weder um eine Trans*biografie, noch um einen Roman handeln soll. Beim Lesen des Buches hat man tatsächlich das Gefühl, dass es sich dabei mehr um einen Erfahrungsbericht handelt. Micha Elas Bericht beginnt biografisch, nämlich mit ihrer Kindheit. Die/der Leser_in bemerkt schnell: In dieser Geschichte spielt Transsexualität zwar eine große Rolle, aber keine vorrangige. In erster Linie geht es um Micha Ela als individuelle Person, ihren Erinnerungen und Erfahrungen, die nicht immer in Zusammenhang mit ihrer Sexualität oder ihrem biologischen und sozialem Geschlecht stehen. So geht es z.B. um ihre Erlebnisse in einer Pflegefamilie, in der sie unter schwierigen Verhältnissen aufwachsen musste, oder ihrer Leidenschaft und Begabung für das Tanzen. Im Zentrum stehen v.a. Micha Elas Beziehungen zu ihren Mitmenschen, der Familie und Partnern. Je weiter man in der Geschichte der heute 45-jährigen Transfrau voranschreitet, desto mehr bekommt man als Leser_in das Gefühl, dass es sich bei unserer Protagonistin um eine L(i)ebenskünstlerin handeln müsse. Ein Ereignis jagt das nächste: Ständige Job-, Wohnungs- und Beziehungswechsel kennzeichnen diesen Erfahrungsbericht. Aber auch einige Schicksalsschläge musste Micha Ela bereits in ihrem kurzen Leben erleiden, von der Diagnose HIV positiv (welche sie 1988 bekam, in einer Zeit als noch relativ wenig über diesen Virus bekannt war – Anm. der Rezensentin), bis hin zu einem Raubüberfall in einem der Tanztheater, in der Ela arbeitete, oder aber auch einem psychosomatischen Nervenleiden in den Beinen, aufgrund dessen die Frau vier Jahre im Rollstuhl verbringen musste, jedoch nach anstrengender, aber erfolgreicher Physiotherapie wieder das Gehen erlernen konnte. Ihre Erfahrungen als transsexuelle Person werden primär in ihrem Arbeitsleben als Tänzerin sichtbar. Hier beschreibt Micha Ela detailliert, wie sie es arrangiert hat als Frau wahrgenommen zu werden, nicht als Transvestit, der eine weibliche Rolle spielt (wobei auch sie an manchen Stellen zu klischeehaften Vorurteilen neigt). In all ihren Beschreibungen wirkt Micha Ela ehrlich und selbstbewusst, trotz oft schwieriger Lebensumstände. Auf jeden Fall ist ihr mit diesem Buch eines gelungen, denn auf fast jeder Seite wird der_dem Leser_in schnell klar, dass Ela auch nur nach dem strebt, das wir uns alle wünschen: Als genau die Person geliebt zu werden, die man_¬frau ist. Abschließend lässt sich somit sagen, dass „Ich bin ich“ weder Ratgeber noch Anleitung für ein Leben als transsexuelles Individuum sein soll und kann. Es ist eine Geschichte von vielen, ganz unterschiedlichen Lebensweisen und keine gleicht der anderen, selbst wenn im Anhang doch noch Micha Elas ganz spezielle Tipps zu Hormontherapie und Identitätsbildung erläutert werden. So betont sie letzten Endes dennoch ganz bewusst: „Ich passe, sowie ich schon mehrfach erwähnt habe, nicht in das Klischee der >>Transsexuellen<<. Ich bin sehr natürlich, bin einfach ich.“ (S. 111)
(Cornelia Lukas)

 

Braig, Maria (2015): Amra und Amir. Abschiebung in eine unbekannte Heimat.

188 Seiten, Verlag 3.0 Reihe ubuntu, 12,20€ [als e-Book 4,99€]

Amra und Amir sind – wie der Buchtitel vielleicht vermuten lässt – nicht zwei Personen, sondern ein und dieselbe Person. Bis zu ihrem 18. Geburtstag lebt Amra in Deutschland, macht eine Ausbildung als KFZ-Mechatronikerin, übernimmt in ihrer Familie viel Verantwortung (der Vater war gestorben, die Mutter depressiv) und widerspricht typischen Rollenklischees. Mit 18 erfährt sie, dass sie abgeschoben werden soll – in den Kosovo, von wo ihre Eltern geflüchtet waren. Alle Versuche ihrer Freund_innen und ihres Chefs scheitern. Obwohl Amra nie im Kosovo gewesen war und auch nicht Albanisch oder Serbisch spricht, wird sie abgeschoben. Zunächst kommt sie bei ihrem Onkel unter. Sie bleibt aber nicht lange, da sie mit den traditionellen Vorstellungen nicht leben kann. Nun beginnt ein Leben auf der Straße in Priŝtina, das Sammeln im Müll, um zu überleben. Es wird einfacher als sie in einem Auto am Schrottplatz wohnen darf und ab und zu Gelegenheitsarbeiten bekommt. Da sie von anderen Menschen als junger Mann wahrgenommen wird und ihr das auch entgegenkommt, wird aus Amra Amir. Als die beste Freundin und ein guter Freund Amra_Amir besuchen kommen und ein paar Tage mit ihr_ihm verbringen, reift der Gedanke Amra_Amir nach Deutschland zurück zu schmuggeln. Inzwischen erkrankt Amir_Amra schwer. Die Rettung erfolgt durch Haki, eine Burrnesha, die Amir_Amra aufnimmt. Schließlich gelingt die Flucht zurück nach Deutschland und Amir kommt mit seiner besten Freundin zusammen, die die Uneindeutigkeit Amirs_Amras anziehend findet. Das Buch endet mit der abermaligen Abschiebung Amirs und dem Willen Amirs wieder nach Deutschland und zu seiner Freundin zurückzukehren. Ein Buch, das meines Erachtens auch sehr gut als Schullektüre geeignet ist. Schließlich verhandelt es zwei sehr wichtige Themen: die Situation von Menschen, die als illegal betrachtet werden und die Frage der Geschlechtsidentität. Im Nachwort geht die Autorin auf die sich verändernde Gesetzeslage bzgl. der Abschiebung von Jugendlichen in Deutschland ein. Hier wäre es sicher sinnvoll zu recherchieren, wie sich diese derzeit in Österreich darstellt. Das Thema der Geschlechtsidentität wird im Buch nicht nur über die Hauptfigur aufgerollt, sondern auch durch die Burrnesha (albanisch für „kleiner Mann“), eine Tradition, die es vorsieht, dass Mädchen/Frauen als Burschen/Männer leben (z.B., wenn ein männlicher Nachfolger fehlt). Dies könnte z.B. auch der Beginn sein, Schüler_innen recherchieren zu lassen, welche anderen Geschlechterkonzeptionen es gibt (Beispiel: das 3. Geschlecht der Hijras in Indien oder in Juchitán/Mexiko).
(Renate Tanzberger)

 

 

Pohlkamp, Ines (2015): Genderbashing. Diskriminierung und Gewalt an den Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit.

421 Seiten, Unrast Verlag, Preis: 24,70€

Die Autorin verortete eine Leerstelle in der Forschung zum Thema Gewalt. Selbst wenn zu homo-sexuellenfeindlicher Gewalt geforscht und die Kategorie Sexualität miteinbezogen wird, wird die Analyse der Kategorie Gender vernachlässigt. Die Autorin interessierte sich daher für die Gewaltwiderfahrnisse geschlechtlich nonkonformer Personen (Transgender, Interqueer, Butch, Crossdresser_in,…). Das Buch fasst – nach einem Theorieteil – die Ergebnisse von 18 Einzelinterviews und einem Gruppeninterview zusammen. Diese wurden in Deutschland zwischen 2007 und 2012 geführt, wobei die Leitfragen waren: Was fällt Ihnen zum Thema Geschlecht ein? Welche Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen haben Sie gemacht, von denen Sie mir erzählen wollen? Welche Strategien nutzen Sie zur Vermeidung von Diskriminierung und Gewalt? Was sind Ihre gesellschaftlichen Utopien? Das Buch ist spannend zu lesen und greift viele Themen auf. Neben den unterschiedlichen Gewaltformen, die geschlechtlich nonkonforme Personen erfahren (durch verletzende Sprache, Unsichtbarmachung, sexualisierte Gewalt, Architektur,…), wird auch die „Queer-Szene“ als ambivalenter Raum beschrieben. Auf den letzten Seiten geht die Autorin der Frage nach, was getan werden müsste, um das „Privileg der geschlechtlichen Eindeutigkeit“ abzubauen, nämlich: „binäre Geschlechterstereotype und ihre Auswirkungen zu reflektieren und zu kritisieren. […] Warum, so könnte die selbstreflexive Frage lauten, können sich Personen heteronormativ stabil, eindeutig, sicher und offensichtlich als Frauen und Männer repräsentieren?“. (S. 354f) Eine Frage, deren Beantwortung spannende Momente verspricht sowie sicher zu weiterführenden Fragen führt (wie beispielsweise: „Wie kann Diskriminierung von Frauen noch benannt werden, wenn die Kategorie Frau aufgelöst wird?“). Die Differenziertheit des Buches findet auch in 395 Fußnoten, einem 22seitigen Glossar der verwendeten Fachbegriffe und einem 34seitigen Literaturver¬zeichnis Ausdruck. Das Lektorat hätte noch etwas sorgfältiger arbeiten können, aber vielleicht ist die ungewöhnliche Abteilung mancher Wörter (geschlecht-sidentitäre S. 20/21, geschlechter-nonkonform S. 24, Intervie-wpartner_in S. 115) ein Ausdruck der Nonkonformität ;)
(Renate Tanzberger)

 

Knaus, Gerlinde (2014): Pionierinnen. Die fabelhafte Welt der Frauen in der Technik. Porträts von Frauen in technischen Berufen. Band 4

80 Seiten, Muße-Kunst, 23€

Der vierte Band der Reihe „Pionierinnen. Die fabelhafte Welt der Frauen in der Technik“ portraitiert Frauen, die in und mit technischen Berufen arbeiten. Das Buch soll vor allem jungen Frauen Mut machen, ihren Begabungen zu folgen und sich für eine technische Ausbildung oder Studium zu entscheiden. Nach einleitenden Worten zu Berufswahl und Rollenklischees enthält der Band eine kurze historische Rückschau auf Frauen und Technik aus dem Technischen Museum Wien. Ehemals biologistische Begründungen für die Ausgrenzung von Frauen aus technischen Berufen sind längst nicht mehr tragfähig, jedoch entscheiden sich immer noch wenige junge Frauen für eine naturwissenschaftlich-technische Ausbildung. Dem positive und ermutigende Portraits von Frauen aus der Technik entgegen zu stellen, ist dann auch der Hauptteil des Buches. Darin erzählen Frauen aus ihrem Fachbereich, von ihren Aufgaben und Begeisterungen. Sie erzählen aber auch von Ausgrenzungen durch männliche Kollegen, darüber, wie es sich mit einem ‚Exotinnenstatus’ leben und arbeiten lässt und ermutigen dennoch, dass alle ihren Interessen und Passionen folgen sollten. Ein sehr positiv stimmendes Buch, welches mit den Einzelportraits auch gut für die Berufsorientierung geeignet ist. Es bleibt zu hoffen, dass Frauen in der Technik bald keine Pionierinnen mehr sein müssen.
(Lydia Linke)

 

Götsch, Monika (2014): Sozialisation heteronormativen Wissens – Wie Jugendliche Sexualität und Geschlecht erzählen

290 Seiten, Budrich UniPress, 36€

Monika Götsch schreibt eine sehr gute Analyse von Prozess und Struktur heteronormativen Wissens(-erwerbs) bei Jugendlichen. Die Dissertation der Soziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bietet einen umfangreichen theoretischen Teil und eine kritische Analyse der Konzepte Jugend, Sozialisation und Heteronormativität. Götsch zeigt einerseits einen Prozess: wie heteronormatives Wissen – also die Setzung von heterosexuellen Beziehungen als gesellschaftliche Norm – von Kindern und Jugendlichen erlernt wird. Andererseits geht es um die Beschreibung einer Struktur – nämlich wie dieses erlernte heteronormative Wissen geäußert und reproduziert wird. In einem empirischen Teil, der auf biografischen Einzelinterviews und Gruppendiskussionen mit Jugendlichen zwischen 12 und 20 Jahren basiert, versucht die Autorin implizites Wissen der Interviewten über Geschlecht(er) und deren (sexuelle) Beziehung explizit zu machen. Diese Analyse zeigt, dass konträr zu den medial oft überspitzt dargestellten, scheinbar enthemmten und sexuell völlig frei agierenden Jugendlichen, diese (immer noch) in traditionellen Vorstellungen von Heteronormativität agieren. Götsch arbeitet "Erzählungen" der Jugendlichen heraus, die diese in Bezug auf Sexualität immer wieder erzählen und die eine Struktur starrer Geschlechts- und Sexualitätskonzepte aufrecht erhält.
Sehr gelungen finde ich die (selbst-)kritische Position der Forscherin und das grundsätzliche Hinterfragen von Jugend als eine Zeit, die von Erwachsenen überwiegend als gefährlich und fragil wahrgenommen wird. Götsch gibt mit ihrer Studie den Jugendlichen eine Stimme und zeigt uns, wie sie als Spiegel der Gesellschaft "Haupterzählungen" reproduzieren, sich jedoch selbstbewusst zu ihnen positionieren.
(Lydia Linke)

 

Gathen, Katharina von der (2014):  Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema

Illustration: Anke Kuhl, 208 Seiten, Klett Kinderbuch-Verlag, 15,40€,
auch als Hörbuch (Länge ca. 80min) erhältlich. Ab 8 Jahren

Das Format: wie ein Kalenderblock.
Die Fragen rund um die Themen Sexualität, Liebe, Körper und Pubertät: aus dem Leben gegriffen.
Die Zeichnungen: wunderschön und immer wieder zum Schmunzeln.

Die Autorin präsentiert in diesem Block Fragen, die ihr während ihrer Arbeit mit Grundschulkindern gestellt wurden. Auf der Vorderseite eines Blattes findet sich die Originalfrage eines Kindes (inklusive Rechtschreibfehlern) sowie eine passende Zeichnung zur Frage. Auf der Rückseite des Blattes geht die Autorin (Sonderschullehrerin und Sexualpädagogin) kindgerecht auf die Fragen ein. Um nur ein paar der Fragen vorzustellen: „Ist es nervig, die Periode zu kriegen?“, „Wozu hat man ein Lustgefühl?“, „Ist Sex witzig?“, „Kann ein Kind im Bauch furzen?“, „Wie machen Frauen mit Frauen und Männer mit Männern Sex?“ „Was passiert, wenn man keine Lust auf Sex hat?“
Die Antworten von Katharina von der Gathen sind sehr einfühlsam, sprechen wichtige Themen an, zeigen Humor, verheimlichen nicht, überfordern aber auch nicht. Und ihre Grundhaltung, nicht eine Wahrheit postulieren zu wollen, sondern zu zeigen, dass es verschiedene Ansichten gibt und dass es wichtig ist, die eigenen Antworten zu finden sowie auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu achten, ist in den Texten stark spürbar [vgl. das Interview mit ihr: www.lesebar.uni-koeln.de/gathen.php].
Mir ist klar, dass die Autorin keine Fragen erfinden wollte, aber ich hätte es fein gefunden, wenn auch das Thema Trans- oder Intersexualität Platz gefunden hätte. Zumindest bei den Antworten. Bei der Frage 36 „Wer hat das Wort ‚Sex‘ erfunden?“ schreibt die Autorin u.a. „Sexus ist lateinisch und bedeutet „Geschlecht“ (also männlich oder weiblich) […]“. Vielleicht hätte an dieser Stelle noch thematisiert werden können, dass Geschlecht nur scheinbar eindeutig ist?
Insgesamt sehr empfehlenswert. Solle in keiner (Volks-)Schulbibliothek fehlen.
(Renate Tanzberger)

 

Thiagarajan, Sivasailam/ Bergh, Samuel (2014): Interaktive Trainingsmethoden. Thiagis Aktivitäten für berufliches, interkulturelles und politisches Lernen in Gruppen

318 Seiten, Wochenschau Verlag, 30,70€

„Erstmalig im deutschen Sprachraum erscheinen Thiagis interaktive Trainingsmethoden mit über 70 Aktivitäten und Texten. Die Methoden eignen sich für berufliche, interkulturelle und politische Bildungsarbeit im Unternehmen, im Klassenzimmer oder im Seminarraum. Sie sind ein Schlüssel für das respektvolle Miteinander in Beruf und Alltag und einfach in der Implementierung. Die Übungen zeichnen sich durch übersichtliche Darstellung aus und sind handlungsorientiert.“ [aus der Verlagswebsite www.wochenschau-verlag.de/interaktive-trainingsmethoden.html]
Thiagi ist die Kurzform für den Sozialwissenschaftler Sivasailam Thiagarajan, Samuel van den Bergh ist Professor für Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Diversity Management in Zürich. Das Buch gliedert sich in arbeitsphasenspezifische Übungen (z.B. zum Einstieg, Wachrüttler, zur Reflexion,…) sowie themenspezifische Übungen (z.B. zu interkulturellem Lernen, Umgang mit Vielfalt). Ich kann bei einigen Methoden / Übungen etwas für meine Arbeit mit Gruppen mitnehmen, bin aber beim Lesen des Buches immer wieder irritiert gewesen. Allzu oft gibt es innerhalb der Übungen Wettbewerbssituationen, die ich für kontraproduktiv für gelingendes Lernen halte. Meines Erachtens kommt auch das im Untertitel verwendete Thema politisches Lernen in diesem Trainingsbuch zu kurz, auch fehlt mir eine Erklärung, was die Autoren (und die Co-Autorin Annette Gisevius unter Kultur verstehen. Aus einer Geschlechterperspektive ist mir ein kreativer Umgang mit Sprache aufgefallen: männliche und weibliche Formen wechseln einander – mehr oder minder – ab, das jeweils andere Geschlecht soll sich mitgemeint fühlen. Dass es genau zwei Geschlechter gibt, wird jedoch nicht hinterfragt („die beiden Geschlechter“ S. 166). Aus meinem pädagogischen Verständnis heraus bin in auch skeptisch, wenn den Trainer_innen am Ende einer Übung empfohlen wird „Erklären Sie, dass Sie eine einmalig talentierte Gruppe von Teilnehmern vor sich haben.“ (S. 140) – das erscheint mir doch sehr berechnend und zu losgelöst von der konkreten Situation / Gruppe. Empfehlenswert für alle im Trainingsbereich, die mit einer kritischen Perspektive an das Buch herangehen und Übungen gerne abwandeln.
(Renate Tanzberger)

 

Schrodt, Heidi (2014): Sehr gut oder nicht genügend? Schule und Migration in Österreich.

208 Seiten, Molden Verlag, 19,99€

Heidi Schrodt gibt in diesem Buch einen Überblick und einen politischen Apell zu den Themen Migration und Bildung in Österreich. Sie tut das mit sechs längeren Kapiteln zu Migration in Österreich, verschiedenen Schulformen, Elementarpädagogik, Elternpartizipation und ‚best practice’-Beispielen aus Österreich. Ergänzt werden die Darstellungen mit einem Vergleich mit dem schwedischen Bildungssystem und drei Expert_inneninterviews zu Migration, Bildung und Sprache.
Der Befund für die österreichische Bildungslandschaft lautet, dass sie versagt allen Kindern, unabhängig von der Geschichte und dem Bildungshintergrund ihrer Eltern die gleichen Chancen zu bieten. Dies ist für eine reiche und demokratische Gesellschaft eine Katastrophe und liegt, so die Analyse, vor allem an dem politischen Unwillen oder der Unfähigkeit eine breit angelegte Bildungsreform zu gestalten. Zankapfel ist das bekannte Problem der starken Segregation der Kinder mit zehn Jahren in die verschiedenen Schulformen und der Gegenentwurf einer Gesamtschule. Weiters zeigt Schrodt Probleme des Bildungssystems im Umgang mit Mehrsprachigkeit der Kinder, Leistungsdruck und ein enorm starkes Standesdenken, was sozialen Aufstieg beinahe unmöglich macht. Kinder von Eltern in schwierigen sozioökonomischen Situationen sind hier besonders betroffen. Nicht unbedingt ein kausaler, aber dennoch ein Zusammenhang besteht zwischen Eltern nicht-österreichischer bzw. nicht-weißer Herkunft und einem niedrigeren Bildungsabschluss der Kinder.
Das Buch ist ein sehr guter politischer Anstoß endlich Bildungsreformen umzusetzen, die der sozialen Realität in Österreich gerecht werden. Kritisch anzumerken ist die teilweise begriffliche Unschärfe in Bezug auf Migration. So wird einleitend von „Kulturkreisen“ gesprochen, ein Begriff der von hermetisch abgeriegelten kulturellen Einheiten ausgeht, und in der Anthropologie, wo er seinen Ursprung hat, bereits seit den 1960er Jahren als essentialistisch eingestuft und abgelehnt wird. Allgemein hätte ich mir zum Thema Migration den gleichen theoretischen und politischen Tiefgang gewünscht, den die Autorin in Bezug auf Bildung präsentieren kann. Insgesamt aber ein sehr lesenswertes Buch, welches hoffentlich weitere nötige Diskussionen anregt.
(Lydia Linke)

 

Mühlsteph, Stefanie (2014):  Technikgirl. Wenn Mädchen Technik lieben.

Illustration: Jana Moskito, 256 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 10,30€

Die Autorin hat Elektro- und Informationstechnik studiert und beschäftigt sich in diesem Buch mit dem Thema Mädchen/Frauen und MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Sie geht der Frage nach mit welchen Vorurteilen Mädchen/Frauen historisch, aber auch aktuell konfrontiert waren/sind. Ein Großteil des Buches berichtet von Frauen, die im MINT-Bereich tätig sind oder eine Ausbildung in einem dieser Bereiche machen. Dabei geht es sowohl um die Frage, wie die Mädchen/Frauen zu ihrem Berufswunsch gekommen sind, wer sie unterstützt oder behindert hat, welche Rolle die Schule gespielt hat, wie das aktuelle Arbeitsumfeld ist, welche Meinung die Frauen zur Quote, zu geschlechtssensibler Sprache haben,… Am Ende lädt ein Quiz Mädchen dazu ein, herauszufinden „welche Mintse sie sind“, eine Tabelle veranschaulicht, welche Erfindungen Frauen in der Zeit 1826-1961 machten und eine Sammlung an Websites aus Deutschland lädt die Leser_innen des Buches dazu ein, mehr über den MINT-Bereich zu erfahren.
Das Buch ist flott geschrieben, liest sich leicht und zeigt unterschiedlichste Mädchen/Frauen im MINT-Bereich. Bei den gezeichneten jungen Frauen finden sich leider nur übertrieben schlanke Frauen und ich hätte es fein gefunden, wenn z.B. durch eine Vielfalt an Hautfarben auch nicht-weiße Mädchen angesprochen würden.
Positiv gestimmt hat mich, dass die Autorin Stellung bezieht gegen biologistisch argumentierende Bücher wie „Warum Frauen nicht einparken und Männer nicht zuhören können“ (S. 179) und die Bedeutung der Gesellschaft für die Interessensentwicklung betont („Und diese Gesellschaft sollte nicht nur Mädchen dazu ermuntern, Fußball zu spielen, Helikopter zu basteln oder Computer zu programmieren, sondern auch dafür sorgen, dass Topflappen häkelnde und Ballett tanzende Jungen, die lieber Erzieher als Kfz-Mechaniker werden wollen, nicht als Weichei oder Sonderling ausgegrenzt werden.“ S. 214).
Dennoch habe ich mir immer wieder schwer getan mit diesem Buch. Die Frauenquote, positive Diskriminierung und der Girls‘ Day werden sehr negativ beurteilt, geschlechtssensible Sprache als nicht notwendig erachtet; ein Zitat wie „Eine Frau ist nicht besser, sie ist anders“ (Ursula von Leyen) verdeutlicht m.E. eine fehlende Auseinandersetzung der Autorin mit aktuellen Gendertheorien und auch Pauschalierungen wie „Iranerinnen, die Unterdrücktesten der Unterdrückten …“ (S. 189) haben mir das Lesen des Buches nicht immer leicht gemacht. Auf einem Großteil der Seiten kommen Frauen zu Wort, die mit dem MINT-Bereich zu tun haben. Hier ist es natürlich schwer, der Autorin die Verantwortung dafür zu geben, was diese Frauen sagen, aber einige der Aussagen hätten meines Erachtens nicht unkommentiert bleiben dürfen. Wenn eine Diplomphysikerin beispielsweise zu Wort kommt und auf das Statement ihrer Praktikantin „Was soll ich Sozialwissenschaften studieren und hinterher auf der Straße stehen? Die sind am Ende froh, wenn sie irgendwo in einer Kita unterkommen. Dann lieber was Richtiges.“ mit „Wo sie recht hat, hat sie recht“ kommentiert (S. 140), fehlt mir ein Hinweis darauf, dass Berufe, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten oft abgewertet werden, schlechter bezahlt und gesellschaftliche Bewertungen in Zusammenhang mit Arbeit nach wie vor oft frauendiskriminierend sind. Insgesamt ein Buch, das ich nur mit Vorsicht empfehlen kann.
(Renate Tanzberger)

 

Wahlström, Kajsa (2013): Jungen, Mädchen und Erzieher/innen. Geschlechterbewusste Pädagogik für die Kita. Das Erfolgsrezept aus Schweden.

192 Seiten, Beltz Verlag, 20,60€

Das, was wir zu wissen glauben, ist eine Erwartung und nicht die Wirklichkeit – dieses Statement zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch der schwedischen Pädagogin Kajsa Wahlström. In gender-sensiblen Bestandsaufnahmen lesen wir Beschreibungen wie diese: „Bereits in der Kita gibt es deutliche Verhaltensweisen, wie sich Jungen den Vorrang verschaffen, während die Mädchen zurückstehen“. Hier zeigt sich die Erwartungen der Pädagog_innen, dass Kinder auf die eine oder andere Art sind. Kajsa Wahlström nimmt einen Perspektivenwechsel vor und sieht das Tun/Benehmen der Kinder als Antwort darauf, wie die Erzieher_innen sie behandeln: die Jungen dürfen sich Vorrang verschaffen, Mädchen werden zum Zurückstehen veranlasst (S. 39).
Anschaulich beschreibt Wahlström Situationen im Kindergartenalltag durch Videoaufzeichnungen und Videoanalysen, in denen unterstützt durch Beobachtungsfragen vor allem das Verhalten der Pädagog_innen befragt wird, z.B.: Wie wird das Benehmen der Kinder geregelt – mit Aufforderungen oder Erklärungen? Wen sieht die Erwachsene an, um Zustimmung zu finden, wenn gesungen werden soll, Fragen beantwortet werden usw.? Die beteiligten Pädagog_innen schulen durch so geleitete Video-analysen ihre Beobachtungskompetenz. Von anfänglichen Interpretationen, die (stereotype) Unterschiede festschreiben („Adam hat nicht mitgesungen, sondern Schwierigkeiten gemacht“) gelangen sie zu einer detaillierten Beschreibung dessen, was genau Adam gemacht hat.
Kajsa Wahlström beschreibt ausführlich die Prozesse, die sie als Kindergartenleiterin und später als Beraterin in Gleichstellungsfragen in einer schwedischen Gemeinde begleitet hat: minutiös erarbeiteten die beteiligten Pädagog_innen nach anfänglichen Widerständen die Erkenntnis, dass oft ihr eigenes Handeln der Grund für das Verhalten der Kinder war und die Erwachsenen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen erst verursachten. Diese „Forschungsprozesse“ erstrecken sich durch ständiges Beobachten – Analysieren – Verändern – Beobachten – Analysieren – Verändern – Beobachten – Analysieren... über einen längeren Zeitraum, der eigentlich nie abgeschlossenen ist und sein kann! Insofern ist das Buch ein überzeugendes Plädoyer für die stetige Auseinandersetzung mit Genderfragen in der pädagogischen Praxis sowie im privaten Alltag.
Die Autorin geht immer wieder auf Hindernisse in Form von persönlichen Haltungen ein („Ich doch nicht!“ oder „Das tue ich doch schon!“), sie beschreibt die Höhen und Tiefen von Lernprozessen, wie Lernen und Verlernen, wie Neues Integrieren und unbewusst Vertrautes Ablegen. Neben ein wenig salbungsvollen Formulierungsvorschlägen wie „Du malst aber schön mit deinen fantastischen Händen!“ finden sich viele Anregungen zur Bereicherung der eigenen Praxis.
Das Buch eignet sich für Einsteiger_innen in die geschlechterbewusste Pädagogik genauso wie es Fortgeschrittene anregt, selbstreflexiv die eigenen Annahmen, Grundüberzeugungen und Handlungen zu überprüfen. Das ist die große Stärke des Buches: Selbstreflexion der handelnden Pädagog_innen als zentrales Mittel zum Aufbau pädagogischer Professionalität zu fordern, zu unterstützen und zu begleiten. Insofern ist das Buch hochaktuell. Dass Mahlström vorwiegend differenztheoretisch verortet ist (es werden zum Beispiel Ziele für Mädchen bei der Mittagessen-Situation und Ziele für Buben bei der Mittagessen-Situation erarbeitet), kann dabei in Kauf genommen werden (und ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie über ihre Erfahrungen mit Prozessen um die Jahrtausendwende berichtet).
(Claudia Schneider)

 

Bartosch, Ilse (2013): Entwicklung weiblicher Geschlechtsidentität und Lernen von Physik - ein Widerspruch?

470 Seiten, Waxmann Verlag, Münster 46,20€

Hierbei handelt es sich um die von Ilse Bartosch an der Alpen-Adria-Universität der Stadt Klagenfurt eingereichte Dissertation aus dem Jahre 2011.

Dieser sehr anregende Sammelband der Erziehungswissenschaft gruppiert Beiträge zu Schulalltag und Lehrpraxis um Judith Butlers Theorie der Subjektivation – also der Herstellung von Subjekten durch Macht- und Normierungsprozesse. Allen Aufsätzen liegt eine doppelte Reflexivität zu Grunde: zum einen geht es um das Erkennen (verdeckter) Strukturen, die Ungleichheiten im System Schule erhalten und reproduzieren, zum anderen darum, wie Kategorien von Differenz durch ihre Benennung (z.B. „Migrationspädagogik“) erst hergestellt werden können. Die einzelnen Beiträge beziehen sich auf Butler nicht nur als Gender-Theoretikerin, sondern nutzen ihr Konzept der Subjektivierung, um auch Rassismus und Homophobie in der Schule aufzudecken. In einem bewegenden Nachwort greift Butler das Thema Schule auf und setzt es in einen breiten gesellschaftlichen Kontext, sicher auch in Anlehnung an Michel Foucaults Untersuchungen zu totalen Insitutionen, in dem Schule ein Raum ist, in welchem Menschen (diskursiv) normiert und geformt werden. Dieser Vorgang wird jedoch nicht als eindimensionaler Zuschreibungsprozess von Differenzen verstanden, sondern als vieldimensionales Geflecht, in dem Ursache und Wirkung von allen Akteur_innen getragen und beeinflusst werden. Der Sammelband bietet so die Möglichkeit grundsätzlich kritisch über das System Schule nachzudenken und ruft zur (Selbst-)reflexion auf um den gewaltsamen Normierungsprozess, zu dem auch die Schule erheblich beiträgt, zu Gunsten einer gewaltfreien und inkludierenden Praxis aufzulösenHierbei handelt es sich um die von Ilse Bartosch an der Alpen-Adria-Universität der Stadt Klagenfurt eingereichte Dissertation aus dem Jahre 2011. Ausschlaggebend für die Wahl ihres Themas war, so beschreibt Frau Bartosch, ihre eigene Biographie und die Erfahrungen, die sie als Frau in einem von Männern dominierten Studium, nämlich dem der Physik, machte. Demnach merkte sie am eigenen Leib, welche Auswirkungen die Folgen einer geschlechtsspezifischen, dualistischen Sozialisierung haben können. Was ist „typisch weiblich"? Inwiefern werden bei Mädchen/Frauen dadurch gewisse Kompetenzen unzureichend ausgebildet, da diese eher als „typisch männlich“ besetzt sind und wie hinderlich kann sich das für Mädchen/Frauen auswirken, wenn sich diese eines Tages entscheiden, in ein männlich-dominiertes Berufsfeld einzusteigen? Ilse Bartosch orientiert sich in ihrer Arbeit an psychoanalytisch-pädagogischen Theorien aus dem Fachbereich der sozialen Arbeit und der Integrations- und Sonderpädagogik. Hiermit erforscht sie, wie genau es zur Entwicklung gewisser Kompetenzen kommt und wie diese in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Normen und Rollenerwartungen stehen. Gleichzeitig beschäftigt sie sich mit der Selbstwahrnehmung junger Frauen im Zuge ihrer Bildungs-laufbahn. Zusätzlich spielen die Interaktionen mit Lehrer_innen und deren bewusste und unbewusste Einstellungen und Werthaltungen an ihre Schüler_innen eine wichtige Rolle. Als Methoden hat Frau Bartosch die Unterrichtsbeobachtung, als auch narrative Interviews gewählt. Diese erlauben es am ehesten Interaktionen mit Hilfe des von Alfred Lorenzer entwickelten sogenannten Szenischen Verstehens, zu erforschen. Szenisches Verstehen bezeichnet das Bewusstmachen unbewusster und bewusster Vorgänge in Interaktionen, z.B. zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen. Dabei handelt es sich um ein Zusammenspiel von Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen. Übertragungsreaktionen sind gekenn-zeichnet durch die unbewussten und bewussten Reaktionen und Erwartungshaltungen, z.B. einer/eines Schülerin/Schülers* an ihre/n Lehrer_in. Wobei Gegenübertragungsreaktionen jene bewusste und unbewusste Gefühle bzw. Reaktionen der Lehrer_innen sind, die durch Übertragungsreaktionen der/des Schülerin/Schülers* ausgelöst werden können. Beide stehen stark in Zusammenhang mit den ausgebildeten psychischen Strukturen der Beteiligten, also den Erfahrungen, die auf beiden Seiten im Laufe ihres Lebens gemacht wurden. Durch das Zusammenspiel von Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen entstehen Szenen, die sich aufgrund der latenten psychischen Strukturen der Beteiligten immer wieder reproduzieren. Dies gilt es durch das Szenische Verstehen nach Lorenzer aufzudecken und näher zu untersuchen. Des Weiteren geht Bartosch in ihrer Arbeit auf weibliche Identitätsbildung in der frühen Adoleszenz auf Basis psychoanalytischer Theorien ein. Bevor sie diese jedoch anhand ihrer Studie anwendet, gibt die Autorin erstmal eine Einführung in die Geschichte der Geschlechtsidentitätsbildung, um somit der/dem Leser_in eine Grundlage für ihre weiteren Ausführungen zu bieten. Hierbei wird u.a. genauso auf den Ödipuskomplex eingegangen, wie auf die Bedeutung der Mutter-Tochter- oder/als auch der Vater-Tochter-Beziehung, sowie auf die Wichtigkeit einer peer-group. Ebenfalls werden schulische Strukturen und die generelle Gewichtung des Fachs Physik an österreichischen (Hoch-)Schulen unter die Lupe genommen. Abschließend erläutert Bartosch verschiedene Lerntheorien, die Rolle der Emotionen im Unterricht, als auch die Wichtigkeit der Lehrperson selbst für das Interesse an einer weiterführenden Bildungslaufbahn in dem Fachbereich der Physik. Frau Bartosch‘ Fallstudien beziehen sich jeweils auf zwei Mädchen der 7. Schulstufe eines Naturwissenschaftlichen Realgymnasiums, und auf zwei Mädchen der 8. Schulstufe eines Neusprachlichen Gymnasiums. Innerhalb dieser Fallstudien werden Personenbeschreibungen der Hauptperson, ihrer peer-group, als auch des Lehrpersonals erläutert. Ebenso werden die Räumlichkeiten, als auch die Methode und Stimmung des Physikunterrichts beschrieben. Die darauffolgenden Beobachtungen sind so strukturiert, dass einzelne Passagen der Protokolle wiedergegeben werden, um diese anschließend mit Hilfe der bereits vorgestellten psychoanalytischen und psychologischen Theorien zu diskutieren. Mir persönlich gefällt diese Art der Strukturierung sehr gut. Indem immer wieder Bezug auf einzelne Abschnitte eines Protokolls genommen werden, lassen sich Bartosch‘ Ausführungen und Ansichten besser und schneller nachvollziehen. Jede Theorie, auf welche die Autorin eingeht, befindet sich direkt unter jener Passage des Protokolls, auf welche sie sich auch bezieht. Ich habe bereits Arbeiten gelesen, in der Protokollberichte und die anschließende Diskussion dieser, separat voneinander stattfanden. Diese Art der Strukturierung halte ich dann speziell für Personen, die sich zuvor nur wenig mit der psychoanalytischen Pädagogik auseinandergesetzt haben, für eher ungeeignet. Das einzige, das bei Frau Bartosch‘ Protokollen zu Verständnisschwierigkeiten führen könnte, ist, dass sie die Dialoge im ursprünglichen Dialekt wiedergegeben hat (beide Schulen befinden sich in Wien). Hierbei stellt sich jedoch auch die Frage, falls sie die Dialoge in Hochdeutsch übersetzt hätte, ob es sich dabei dann nicht um Interpretationen ihrerseits handeln würde und somit ein wesentlicher Teil der Aussagen verloren gegangen wäre. Anschließend stellt Ilse Bartosch sechs Hypothesen auf, die sie anhand der Ergebnisse ihrer Beobachtungen erschlossen hat und diese werden daraufhin in einzelnen Abschnitten diskutiert. Insgesamt geht es in Bartosch‘ Dissertation um die Rahmenbedingungen eines männlich-dominierten Fachbereichs und die Art und Weise wie diese Einfluss nehmen können auf die Entwicklung einer weiblichen Geschlechtsidentität. Dabei fokussiert die Autorin vorwiegend das Geschehen innerhalb der Klassenräume. Mit Sicherheit wäre es noch aufschlussreicher gewesen, außerschulische Faktoren in die Studie miteinzubeziehen. Dass Bartosch sich hier ausschließlich auf den Unterricht konzentriert, erwähnt sie selbst mehrmals und ergänzt abschließend ihre Studie mit möglichen weiterführenden Fragen. Es zeigt sich demnach, dass es auf diesem Gebiet noch einiges an interessantem Forschungsmaterial zu erschließen gibt. Meiner Meinung nach wäre es z.B. auch erstrebenswert, Mädchen aus komplett verschiedenen Orten (Land, Stadt, etc.) und unterschiedlichen Schulstufen, als auch mit stark voneinander abweichenden sozialen Hintergründen in einer Studie zu untersuchen. Vielleicht würde es dann zu noch aussagekräftigeren Ergebnissen in Bezug auf die Entwicklung einer weiblichen Geschlechtsidentität kommen. Nichts desto trotz ist Ilse Bartosch‘ Arbeit interessant zu lesen, insbesondere für jene, die sich bereits mit Gender Studies und psychoanalytischer Pädagogik auseinander gesetzt haben.
(Cornelia Lukas)

 

Kleiner, Bettina/ Rose, Nadine (Hg.) (2014): (Re-)Produktion von Ungleichheiten im Schulalltag. Judith Butlers Konzept der Subjektivation in der erziehungswissenschaftlichen Forschung.

191 Seiten, Verlag Barbara Budrich, Opladen, Berlin und Toronto 24,90€

Dieser sehr anregende Sammelband der Erziehungswissenschaft gruppiert Beiträge zu Schulalltag und Lehrpraxis um Judith Butlers Theorie der Subjektivation – also der Herstellung von Subjekten durch Macht- und Normierungsprozesse. Allen Aufsätzen liegt eine doppelte Reflexivität zu Grunde: zum einen geht es um das Erkennen (verdeckter) Strukturen, die Ungleichheiten im System Schule erhalten und reproduzieren, zum anderen darum, wie Kategorien von Differenz durch ihre Benennung (z.B. „Migrationspädagogik“) erst hergestellt werden können. Die einzelnen Beiträge beziehen sich auf Butler nicht nur als Gender-Theoretikerin, sondern nutzen ihr Konzept der Subjektivierung, um auch Rassismus und Homophobie in der Schule aufzudecken. In einem bewegenden Nachwort greift Butler das Thema Schule auf und setzt es in einen breiten gesellschaftlichen Kontext, sicher auch in Anlehnung an Michel Foucaults Untersuchungen zu totalen Insitutionen, in dem Schule ein Raum ist, in welchem Menschen (diskursiv) normiert und geformt werden. Dieser Vorgang wird jedoch nicht als eindimensionaler Zuschreibungsprozess von Differenzen verstanden, sondern als vieldimensionales Geflecht, in dem Ursache und Wirkung von allen Akteur_innen getragen und beeinflusst werden. Der Sammelband bietet so die Möglichkeit grundsätzlich kritisch über das System Schule nachzudenken und ruft zur (Selbst-)reflexion auf um den gewaltsamen Normierungsprozess, zu dem auch die Schule erheblich beiträgt, zu Gunsten einer gewaltfreien und inkludierenden Praxis aufzulösen.
(Lydia Linke)

 

Kauffenstein, Evelyn/ Vollmer-Schubert, Brigitte (Hg.) (2014): Mädchenarbeit im Wandel: Bleibt alles anders?

194 Seiten, Beltz Juventa, Weinheim und Basel, 20€

Bleibt alles anders?... ist der Untertitel des Sammelbandes, der sich mit aktuellen Positionen und Fragen der Mädchenarbeit in Deutschland beschäftigt. Wie unterschiedlich diese sein können, zeigt sich schon an der Schreibweise Mädchen, Mädchen_, Mädchen*, mit der entweder betont wird, wie wichtig es ist, die Konstruiertheit von Geschlecht sichtbar zu machen oder aber zu betonen, dass Mädchen nach wie vor mit Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität und sexualisierten Zuschreibungen konfrontiert sind und die Kategorie Mädchen daher weiterhin bedeutsam ist. Mädchenräume werden nach wie vor als wichtig erachtet, die Frage der Ein- und Ausschlüsse muss aber gestellt werden. Wie tun mit Kindern/Jugendlichen, die sich selbst als Mädchen definieren, von anderen aber nicht so wahrgenommen werden? Wie können rassistische Strukturen bearbeitet werden? Welche Themen sollen wie behandelt werden? Geht es um Stärkung von Identität oder um Infrage Stellen von Identität? Einfache Antworten gibt es nicht, Widersprüche müssen ausgehalten werden. Vielen der Autor_innen ist es wichtig gegen den Neoliberalismus und die Vorstellung „Jede ist ihres Glückes Schmiedin“ Stellung zu beziehen und eine vermehrte Politisierung der Mädchen*arbeit zu fordern.

Wer sich von diesem Sammelband praktische, leicht umsetzbare Methoden der Mädchen*arbeit erwartet, wird enttäuscht sein. Wer aber grundsätzliche Positionen reflektieren will, sich Denk- und Diskussionsanregungen erhofft, kann sich auf eine spannende Lektüre freuen.
(Renate Tanzberger)

 

Budde, Jürgen/ Thon, Christine/ Walgenbach, Katharina (Hg.) (2014): Männlichkeiten. Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen.

243 Seiten, Verlag Barbara Budrich, 25,60€

Ein spannend zu lesender Sammelband, der sich dem Thema Männlichkeiten/
Männlichkeitskonstruktionen im Bereich Kleinkindpädagogik und Schule widmet. Im Unterschied zu einem medialen Diskurs, der die Feminisierung des Bildungsbereichs für das schlechtere Abschneiden von Buben in der Schule verantwortlich macht, wird hier beispielsweise gefragt, welche problematischen Männlichkeitskonzepte dazu führen könnten. Ebenso wird differenziert beleuchtet, in wie weit Männer in der frühkindlichen Erziehung von der patriarchalen Dividende profitieren, aber auch mit einem Generalverdacht der Pädophilie konfrontiert sind. Spannend fand ich auch die historischen Rückblicke (dass es in den USA schon im 19. Jahrhundert Warnungen gab, welch negativen Einfluss Lehrerinnen auf – v.a. ältere – Schüler hätten [S. 38] oder, dass z.B. der Pädagoge Fröbel die Beschäftigung männlicher Pädagogen im Kindergarten befürwortete, aber keine Interessenten für diesen neuen Beruf fand [S. 69]). Ich will noch einen Artikel herauszugreifen, der meines Erachtens stark zum Diskutieren anregt: "Der Zusammenhang von Männlichkeitskonstruktionen mit der Lern- und Leistungsmotivation bei Jungen" von Ruth Michalek, Thomas Fuhr und Gudrun Schönknecht. Die Autor_innen haben ein quantitatives Instrument, das Freiburger Jungeninventar, entwickelt, mit dem Differenzen zwischen den Männlichkeitskonstruktionen von 13- bis 16-jährigen gemessen werden können und haben dabei fünf Cluster von Männlichkeitskonstruktionen unterschieden (den familienorientierten Schüler, der starken Kerl, den individuellen Freund, den geselligen Freund und den Einzelgänger). Der starke Kerl wird mit Konkurrenz, Sport und Streben nach Anerkennung in der Jungengruppe in Verbindung gebracht; durch diese Benennung wird m.E. aber ein typisches Bild von Stärke in Verbindung mit Männlichkeit reproduziert. Und wenn nach der Zustimmung zum Ideal eines fürsorglichen, erfolgreichen Partners einer Frau gefragt wird, wird m.E. die Norm Heterosexualität reproduziert (zumindest geht aus dem Text nicht hervor, ob auch nach dem Ideal eines fürsorglichen, erfolgreichen Partners eines Mannes gefragt wurde). Auf jeden Fall empfehlenswert für alle im pädagogischen Bereich Tätigen.
(Renate Tanzberger)

 

AK Feministische Sprachpraxis (Hg.) (2011): Feminismus schreiben lernen.
188 Seiten, Verlag Brandes&Apsel, 19,90 Euro

"Wie sage ich es denn jetzt richtig?
'Richtig sagen’ gibt es gar nicht [für mich]." (2011: Seite 179)
Ausgangspunkt und gleichzeitiges Ziel des Buches "Feminismus schreiben lernen" ist es, feministische Sprachpraktiken und Interventionen in sprachliche Diskriminierungen zu entwickeln. Dafür hat sich der AK Feminsitische Sprachpraxis in eine kollektive inhaltliche Auseinandersetzung begeben: Das Buch ist ein (Zwischen-)Ergebnis eines Aushandlungs- und Lernprozesses, was an einigen Stellen auch sichtbar und transparent (gemacht) wird. Feminismus wird als (unabschließbarer) Lernprozess und Schreiben als Handlungsform verstanden – zwei Grundannahmen des Buches, die inhaltlich als roter Faden ausgerollt werden.
In einzelnen Beiträgen werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: die Erarbeitung eines Verständnisses von Feminismus, der Sexismus als (eine) Diskriminierungsform versteht, und eines Analysemodells für Sprachhandlungen, um Ausschlüsse in und durch Sprache zu benennen [AK Einleitung: Feminismus]; das Aufzeigen von Möglichkeiten, sich kritisch zu Ver_Orten v.a. in Kontexten der Wissensproduktion [feminismus w_orten lernen]; die Analyse von Diskrimierung in Sprachhandlungen und die Entwicklung alternativer Sprachformen [Dyke_Trans schreiben lernen]; und die Frage, wie Wissensproduktion in wissenschaftlichen Kontexten als feministisches Handeln aufgefasst und (Feminismus) gelernt werden kann [Wissen feministisch re_produzieren lernen]. Interessant ist v.a. der Teil FAQs zu Sprache, Diskriminierung und Feminismus, in dem konkrete Fragen, die aus dem Alltag, insbesondere auch aus wissenschaftlichem Alltag, bekannt sind, mit möglichen Argumenten und Antworten im Stil eines Bravo-Dr.Sommer-Beitrages festgehalten sind.
Das Buch und die Sprache, die verwendet wird, sind sehr akademisch, mit diskurstheoretischen Vokabeln gespickt und deutlich politisch-kritisch motiviert. Das lässt einerseits klar erkennen, dass es in einem universitären, nämlich dem GenderStudies-Kontext, entstanden ist, kann andererseits aber Ausschlüsse produzieren – das Lesen ist anstrengend und manchen Leser_innen weniger (leicht) zugänglich als anderen. Ich kann nachvollziehen, wenn eine_r beschließt, "aufzugeben", trotzdem lohnt es sich in mehrere der Beiträge hineinzulesen, da die Autor_innen unterschiedlich schreiben und formulieren. Ich finde es spannend, vor allem auch universitäre Wissensproduktion in Form von Schreiben als politisches Handeln aufzufassen und ich kann jenen das Buch nur empfehlen, die eine Idee davon bekommen wollen, wie dieser Gedanke vielleicht umgesetzt werden kann.
(Marcella Merkl)

 

Meuser, Michael/ Calmbach, Marc/ Kösters, Winfried/ Melcher, Marc/ Scholz, Sylka/ Toprak, Ahmet (2013): Jungen und ihre Lebenswelten – Vielfalt als Chance und Herausforderung.
232 Seiten, Verlag Barbara Budrich, 30,80 Euro

"Um zu erfahren, wie Jungen heute leben, welche Themen sie bewegen und wie sie zu Themen wie 'Gleichstellung' oder 'Familie' stehen, hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem im Jahr 2010 berufenen Beirat Jungenpolitik methodisches Neuland betreten: Ausgehend von der konkreten Lebenswirklichkeit und dem persönlichen Umfeld der jugendlichen Experten hat das paritätisch aus Erwachsenen und Jugendlichen besetzte Gremium seine Themen gefunden und diskutiert. Der Beirat Jungenpolitik hat also nicht über Jungen gesprochen, sondern mit ihnen." [aus: www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=199124.html].
Und daraus ist das folgende Buch entstanden, das ich mit großer Freude gelesen habe. Hier wird die Dramatisierung des Männlichkeitsdiskurses ("Jungenkatastrophe", "Krise des Mannes") mit Skepsis betrachtet, sehr wohl aber werden die Herausforderungen angesprochen, "die sich zum einen aus dem Wandel der Geschlechterverhältnisse in den letzten Jahrzehnten, zum anderen aus strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft und der Arbeitswelt ergeben" (S. 55 ). Jungen werden in ihrer Vielfalt wahrgenommen, sie kommen selbst zu Wort (indem sie Beiträge verfasst haben, interviewt wurden, an Gruppendiskussionen teilgenommen haben); neben den Jungen schreiben erwachsene Expert_innen zum Thema "Jungen und ihre Lebenswelten" und es wurden Focusgruppen mit Mädchen u.a. über ihre Vorstellungen zum Thema Männlichkeit gemacht. Das Buch bietet ein sehr differenziertes Bild auf Jungen, zeigt auch Leerstellen auf (z.B. die Situation queerer Jugendlicher), gibt Schlussfolgerungen für die Jungenpolitik, aber auch ganz konkrete Anregungen, wie mit Jungen / Jugendlichen gearbeitet werden kann (z.B. "Spiel des Lebens" S. 69). Einzig, dass die Themen Sexualität und Gewalt nur gestreift wurden, finde ich schade, da ich mir interessante Erkenntnisse erwartet hätte (ausgehend von einer ähnlich differenzierten Darstellung wie bei den anderen Themen im Buch). Die Begründung, dass von den Jungen Gewalt und Sexualität nicht als zentrale Themen benannt wurden, hat mich erstaunt.
Download hier (pdf)
(Renate Tanzberger)

 

Herwartz-Emden, Leonie/ Schurt, Verena/ Waburg, Wiebke (2012): Mädchen und Jungen in Schule und Unterricht.
137 Seiten, Kohlhammer Verlag, 20,50 Euro

Dieser Band gibt einen Überblick über die Koedukationsdebatte in Deutschland von den 70er-Jahren bis heute, setzt sich mit den Themen Sozialisation und Mädchen-/Jungenförderung in der Schule auseinander, liefert Daten zu Bildungskarrieren von Schülerinnen und Schülern und widmet sich aktuellen Diskussionen. Unter anderem gehen die Autorinnen auf die Debatte "Jungen als Bildungsverlierer", "Die Schule braucht mehr Männer", Mädchen und MINT, Buben und Lesen, Vor- und Nachteile eines monoedukativen Unterrichts ein. Intersektionalität (also der Verknüpfung von Geschlecht mit anderen Kategorien wie Ethnie, Sozialstatus,...) wird thematisiert, Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit, die Verknüpfung von Geschlecht mit Begehren sowie eine Kritik an der Heteronormativität oder eine Darstellung von Queer Theory sucht die Leserin allerdings vergebens. Ein gutes Überblicksbuch (das sich speziell an Lehrkräfte, Dozent_innen und Studierende richtet) mit Leerstellen, einem anregenden Literatur- und Stichwortverzeichnis sowie Hinweisen auf Modellprojekte in Deutschland wie beispielsweise http://kickenundlesen.de (wobei sich auf der Website dann allerdings wieder Sätze finden wie: [Jungen] "lesen aber anders und anderes als Mädchen und brauchen eine Förderung, die das berücksichtigt." ... womit wieder stark verallgemeinert und die Unterschiedlichkeiten innerhalb der Jungengruppe ausgeklammert wird).
(Renate Tanzberger)

 

Fenkart, Gabriele (2012): Sachorientiertes Lesen und Geschlecht. Transdifferenz - Geschlechtersensibilität - Identitätsorientierung. 258 Seiten, Beltz Juventa Verlag, Weinheim u.a., 41,10 Euro

Die Autorin kommt aus der Praxis (Unterrichtstätigkeit, Schulbibliothek), ist in der Lehrer_innenaus- und Fortbildung tätig und arbeitet wissenschaflich im Bereich der Lesedidaktik. So vielfältig wie diese Ausgangspunkte sind auch die Themen des Buches. Neben Begriffsklärungen ("Was ist Sachliteratur?", "Was meint Transdifferenz?", "Wie wird Geschlecht konstruiert?",...), historischen Exkursen, Analysen in wie weit Sachtexte und Sachbücher zur Geschlechterkonstruktion beitragen, finden sich auch didaktische Perspektiven und 10 Thesen zu einer transdifferenten, identitätsorientierten und geschlechtssensiblen Lesedidaktik. Der Autorin geht es darum, "den Zusammenhang zwischen Geschlecht, Schicht und Lesesozialisation in Bezug auf Lesekompetenz und Lesemotivation zu untersuchen" (S. 240). Sie geht auf die Ebene der Schüler_innen ebenso ein wie auf die Bedeutung der Lehrer_innen und des gesellschaftlichen Umfelds, um zu einer "Erweiterung der Lektüren und Handlungsspielräume über die zweigeschlechtlich konstruierten Leseräume hinaus" (S. 226) beizutragen. Sie widmet sich dabei der Situation in Österreich und bietet Lehrer_innen, Sachbuchautor_innen und allen, die mit Leser_innen im Kindes- und Jugendalter zu tun haben, vielfältige Anregungen zur Reflexion. (Renate Tanzberger)

 

Hinrichs, Ulrike/ Romdhane, Nizar/ Tiedemann Markus (2012): Unsere Tochter nimmt nicht am Schwimmunterricht teil! 50 religiös-kulturelle Konfliktfälle in der Schule und wie man ihnen begegnet

192 Seiten, Verlag an der Ruhr, 19,50€

Die 50 im Buch beschriebenen Konflikte decken die Bereiche "Bildung und Erziehung", "Organisation von Schule", "Körper und Kleidung" sowie "Mann und Frau" ab und reichen von "Unser Kind darf keine Geschenke annehmen!" über "Unser Kind darf keinerlei Tiere töten oder zerlegen!", "Unser Kind hat während des Ramadan des Fasten einzuhalten!", "Unser Kind soll lernen, dass Homosexualität krankhaft ist!", "Unser Sohn wird beschnitten, so gebietet es unsere Tradition!" bis zu "Unser Kind darf die Vertreibung der Armenier nicht als Völkermord bezeichnen!". Es geht also um religiös-kulturelle Konflikte, aber auch um Traditionen und historisch-politische Konflikte. Bei jedem Konflikt werden Hintergründe, alternative Deutungsmuster (soweit vorhanden) und die Rechtslage dargestellt sowie Empfehlungen zum Umgang mit dem Konflikt gegeben. Die Rechtslage bezieht sich auf Deutschland, einige der angeführten Konflikte sind in Österreich wahrscheinlich kaum Thema. Ansonsten ist das Buch aber auch für ein österreichisches Publikum sehr lesenswert, weil es sehr differenziert berichtet.
Dazu möchte ich ein Beispiel herausgreifen: Beim Thema "Das Schlagen von Kindern hat bei uns Tradition!" wird erläutert "Nicht selten wird versucht, die Züchtigung von Kindern religiös zu legitimieren. Gleichwohl handelt es sich primär um verfestigte 'Gewohnheitsrechte' [...]" (S. 74). Anschließend wird kurz auf religiöse Quellentexte eingegangen, die Züchtigungen legitimieren (Altes Testament) oder eben auch nicht (Koran) sowie auf das Züchtigungsrecht, das in Deutschland bis 1958 bestand [in Österreich bis Mitte der 70er-Jahre; Anm. RT]. Es wird darauf verwiesen, dass Bibelstellen, die das Züchtigen gutheißen, nicht bedeuten, dass heutige Konfessionen das Schlagen von Kindern legitimieren. Bei den Empfehlungen wird klar angesprochen, dass die Schule keine Ver¬harm¬losung von körperlicher Gewalt durch schlagende Erwachsene akzeptieren darf, aber auch betont "Aus sozialpädagogischen Erwägungen sollte der Gesprächsfaden nicht abgebrochen werden." (S. 76)
Das Buch endet mit einem informativen Glossar. Es ist dem Buch anzumerken, dass die Autor_innen viele Bereiche abdecken: Jus, Islamwissenschaft, Politik, Soziologie, Philosophie, Geschichte, Erziehungswissenschaften,... Zum Schluss meiner Rezension noch Kritisches: Die Sprache ist leider nicht geschlechtssensibel (ein Beispiel aus dem Vorwort: "Der Ratgeber versteht sich somit als Handbuch für Lehrer, Pädagogen und streitbare Bürger."). Ich würde nicht von "homosexueller Veranlagung" (S. 52) schreiben und den Absatz "Darüber hinaus sprechen auch soziale Gründe für koedukativen Sportunterricht. Integration bedarf des Kontakts und gemeinsamer Erlebnisse. Eine aufgeschlossene Teilnahme in reinen Mädchensportkursen dürfte weit mehr Nähe erzeugen als die erzwungene oder verweigerte Teilnahme am koedukativen Sportunterricht." (S. 111) verstehe ich nicht.
(Renate Tanzberger)

 

Bak, Raphael/ Trinius, Stephan/ Walther, Clara (2011): Entscheidung im Unterricht: Coming-out im Klassenzimmer

Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, um 1,50€ zu beziehen bei wiebke.kohl@bpb.de

Protagonist Timo, ein homosexueller Jugendlicher, wird an seiner Schule gemobbt und überlegt daher, diese ohne einen Abschluss zu verlassen. Zusammen mit Noah Sow macht er sich auf die Suche nach einer Lösung und begegnet hierbei dem schwulen Musiker Ross Anthony, lässt sich zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz beraten und findet Unterstützung in einem Jugendzentrum für lesbische und schwule Jugendliche.
Das sehr informative Unterrichtsmaterial für Lehrer_innen der Haupt- und Berufsschulen beinhaltet neben fünf Kurzfilmen auch Hintergrundinformationen und diverse Arbeitsblätter, die direkt im Unterricht eingesetzt werden können. Es soll die Schüler_innen über Homosexualität aufklären und zu Diskussionen anregen. Ziel ist es, Verständnis füreinander zu entwickeln und eigenes (ggf. diskriminierendes) Handeln zu reflektieren. Der Schwerpunkt wird auf das Schwulsein gesetzt; lesbisches Begehren, transgender Lebensweisen und transsexuelle Personen spielen eine untergeordnete Rolle. Die Autor_innen haben sich kreativ mit einer gendergerechten Schreibweise auseinandergesetzt und ein neues Zeichen entwickelt, jedoch zum Vorteil des generischen Maskulinums.
(Anja Trittelvitz)

 

Knaus, Gerlinde (2010/11/12): Pionierinnen – Die fabelhafte Welt der Frauen in der Technik (Band 1-3)

Um 10€ (Band 1), 16,50€ (Band 2), 20€ (Band 3) bzw. 30€ (Band 1-3) zu beziehen bei gerlinde.knaus@mussekunst.com oder im Buchhandel.

Da sind sie endlich – die Role Models: erfolgreiche Frauen in technischen und forschenden Berufen. In drei Bänden portraitiert Gerlinde Knaus Wegbereiterinnen, die sich abseits der stereotyp weiblichen Berufswelt befinden, ob als selbständige Unternehmerin oder Managerin. Gerlinde Knaus‘ Utopie: Technikbegabte Frauen werden "eines Tages ganz selbstverständlich und vorurteilsfrei in technische Berufe hineinwachsen". Selbst zu Wort kommen die Förderinnen von Frauen in der Technik, Frauen aus den Gender Studies sowie die Pionierinnen in ihren jeweiligen Fachbereichen. Bei allem Optimismus werden aber nicht die zusätzlichen Hürden verschwiegen, die Frauen in diesem Feld überwinden müssen, denn gerade die Rahmenbedingungen in der Forschung erschweren Frauenkarrieren. Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, bleibt weiterhin das Problem von Frauen, von Vorurteilen und Diskriminierungen sowie dem Gender Pay Gap einmal abgesehen. Doch es gibt schließlich auch positive Beispiele und so stellen pro Band ca. zwanzig Frauen ihren individuellen Berufsweg vor. Zudem wird erläutert, wieso Frauen und Technik zusammengehören und es werden Frauenförderprogramme, Beratungsangebote sowie Netzwerke vorgestellt. Einziger Wermutstropfen ist, dass nach Gerlinde Knaus ausgerechnet besondere weiblich konnotierte Fähigkeiten, wie "Kommunikationsfähigkeit, gute Teamarbeit, kreative Lösungen" Technik und Forschung bereichern und zu einem neuen "Image" verhelfen sollen. Doch die portraitierten Frauen zeigen: Dazu bedarf es mehr – und das können sie!
(Anja Trittelvitz)

 

Eismann, Sonja/ Köver, Chris (2012): Mach´s selbst – Do it yourself für Mädchen

Illustration/Layout: Daniela Burger, 160 Seiten, Beltz & Gelberg, 17,50€

Das DIY-Buch widmet sich in neun Kapiteln den Themen: Musik machen, Senden + Schreiben, Crafting, Protestieren + Organisieren, Verkabeln + Sichern, Kochen, Reparieren + Bauen, Pflanzen sowie Reagieren + Analysieren. Es zeigt jeweils auch in Kürze auf, wie viele Personen benötigt werden, welche Kosten entstehen können und wie lange das jeweilige Projekt dauert. Wer also schon immer einmal wissen wollte, wie Beatboxing zu erlernen ist, ein eigener Blog zustande kommt oder Guerilla-Gardening in die Tat umgesetzt wird, ist hier genau richtig – und auch wer sich darüber noch keine Gedanken gemacht hat, wird zahlreiche neue Inspirationen finden. Die Autor_innen (allesamt Missy-Magazin-Herausgeber_innen) machen auch vor Themen wie Mobbing oder Rassismus nicht halt und geben hier den Leser_innen ebenfalls nützliche Tipps mit auf den Weg. Die Sprache ist leicht verständlich und altersentsprechend, die Handlungsanweisungen je nach Projekt mehr oder weniger anspruchsvoll. Neben Texten der Autor_innen kommen auch immer wieder Expert_innen als Role-Models zu Wort. Die Autor_innen des Buches haben den Anspruch, durchgehend die weibliche Anrede bzw. das generische Femininum zu verwenden – Jungen und Männer dürfen sich aber mitgemeint fühlen. Auf eine ausgewogene und gleichwertige Darstellung körperlicher Merkmale (wie Größe, Ethnizität, Alter, Hautfarbe, Gewicht usw.) wurde nicht ausreichend geachtet; vollständig abgebildete Personen sind ableisiert dargestellt. Das Buch ist dennoch empowernd, da es Mädchen durch das eigene Tun (ob allein oder in einer Gruppe) unabhängiger von anderen werden lässt, ihre Mitbestimmung erweitert und so das Selbstbewusstsein fördert.
(Anja Trittelvitz)

 

Rauw, Regina (2012): Praxishandbuch "Selbstbehauptung in der Mädchenarbeit"

Europäisches Netzwerk "It´s our world – Empowerment in the work with girls”, Preis: 5€ (zzgl. Versand), zu beziehen unter: info@girlsempowerment.eu

Wie wäre eine Welt mit lauter starken, selbstbewussten Mädchen und Frauen? Diese Frage stellt sich die Autorin des Praxishandbuches und erläutert, was Selbstbehauptung von Mädchen bedeutet und wie diese durch ein Training zu erreichen ist. Sie stellt sieben Schritte vor, die die Basis für Selbstbehauptungskurse für Mädchen legen sollen. Diese gliedern sich in Kennenlernen, Ankommen, in Kontakt mit sich und eigenen Gefühlen treten, Grenzen setzen, Artikulation von NEIN und JA, Integration neuer Erfahrungen und Evaluation. Hierbei wird nicht nur auf gute Planung und Methodenvielfalt geachtet, sondern auch auf die Haltung der jeweiligen Fachkräfte. Das Handbuch ist in mehreren Sprachen zugänglich und gendergerecht verfasst. Bei der Darstellung der Methode des Trainings wird die weibliche Schreibform verwendet. Personen, ob eher weiblich, männlich, inter- oder transsexuell, werden als gleichwertig beschrieben und anerkannt. Es wird darauf hingearbeitet, dass sich die Mädchen in der Trainingsgruppe gegenseitig respektieren und wertschätzend verhalten. Eine vertrauensvolle Beziehung zur Trainerin sowie untereinander ist für den erfolgreichen Verlauf unabdingbar. Das Buch zielt darauf ab, die Selbstbestimmung der Mädchen durch Körperwahr­nehmung und das Ausprobieren unterschiedlicher sozialer Handlungsformen zu fördern. Es werden viele Methoden vorgestellt, bei denen Bewegung und Körperkontakt zentral sind. Diese sollten stets den Teilnehmerinnen und ihren körperlichen Möglichkeiten angepasst sein und es sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich die Mädchen jederzeit zurücknehmen oder wieder einbringen können, um ihre Grenzen zu wahren. Methoden, die eigentlich das Entdecken von Gemeinsamkeiten zum Ziel haben, sollten daraufhin überprüft werden, ob sie keine weiteren Ausgrenzungen fördern, wenn es keine Gemeinsamkeit gibt. Etwas problematisch finde ich es, wenn Mädchen im Spiel ausgerechnet die Rolle des körperlich bedrängten "Stars" oder der Burgprinzessin einnehmen sollen. Mädchen werden im öffentlichen Raum doch schon oft genug eingeschränkt und Prinzessinnen müssen/sollen/können sie ohnehin schon immer sein. Aber es spricht ja nichts dagegen, die Übungen den eigenen Vorstellungen entsprechend abzuändern.
(
Anja Trittelvitz)

 

Stadler-Altmann, Ulrike (Hg.) (2012): Genderkompetenz in pädagogischer Interaktion. 193 Seiten, Verlag Barbara Budrich, Opladen u.a., 23,60 Euro

Der Sammelband beschäftigt sich mit Genderkompetenz im erziehungswissenschaftlichen Diskurs, also mit der Frage wie in der Lehrer_innenausbildung Genderkompetenz vermittelt werden kann, sowie mit Ideen dafür, wie Lehrer_innen Schüler_innen für dieses Thema sensibilisieren können.
Mir ist sehr positiv aufgefallen, dass das Buch bereits zu Beginn Genderkompetenz sowie die Hinterfragung der eigenen Prägung durch Geschlechterstereotypen bei Lehrenden als Schlüsselqualifikation unterstreicht, ohne die geschlechtergerechtes Handeln nicht möglich ist. Zudem wird darauf aufmerksam gemacht, dass keineswegs unstrittig ist, was nun unter einer "geschlechtergerechten Schule" verstanden werden kann bzw. was diese ausmacht. Etwas schade ist, dass nicht darauf eingegangen wurde, inwiefern Lehramtsstudierende unterschiedliches Vorwissen zum Thema Gender mitbringen und wie das Curriculum mit diesem unterschiedlichen Vorwissen umgehen soll/kann, um Frustration und Ablehnung zu vermeiden.
Die Aussage, Geschlechtererziehung dürfe nicht als "Zwang" oder "Umerziehung" erlebt werden, bildet schließlich den Übergang zum zweiten Themenkomplex, der Umsetzung der erworbenen Kompetenz im Unterricht. Schüler_innen müsse zunächst der Begriff "Gender" näher gebracht und ihnen gezeigt werden, wie scheinbar "biologische" bzw. "natürliche" Geschlechterdifferenzen zu Schlussfolgerungen über Frauen/Männer führen und welche Auswirkungen dies in Folge auch auf das eigene Leben hat. Beim Thema "gendersensible Berufsorientierung" wird erläutert, dass es wichtig sei Alternativen aufzuzeigen und Mut zu ungewöhnlichen Berufsentscheidungen zu machen. Leider wird nicht thematisiert, wie damit umgegangen werden könnte, dass Jugendliche zur Zeit der Berufsorientierung bereits von Geschlechterstereotypen ihres jeweiligen Umfeldes geprägt sind.
Weitere Themen sind: Jungenkrise und Jungenförderung in der Schule; Gender, Migration und Schule; Erfahrungsberichte aus einem MINT-Projekt, etc.. (Astrid Bauer)

 

Schweighofer-Brauer, Annemarie (2011): Cross Work. Geschlechterpädagogik überkreuz in Deutschland und Österreich. 217 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus, 28,00 Euro

Als ich die Begriffe "Geschlechterreflektierende Überkreuzpädagogik"bzw. Cross Work zum ersten Mal hörte, löste dies bei mir eher negative Assoziationen (Kreuz = Leiden) aus. Als ich dann verstand, dass es darum geht, dass Frauen mit Buben/Burschen bzw. Männer mit Mädchen bzw. ein Mann-Frau-Team mit einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe arbeiten und diese Situation bewusst reflektieren und gestalten, wurde ich neugierig. Annemarie Schweighofer-Brauners Publikation kam also gerade richtig. Sie liefert einen historischen Abriss zu Begrifflichkeit und Entwicklung dieses Ansatzes, stellt spannende Fragen, die von Cross Work-Expert_innen in Österreich und Deutschland beantwortet werden und fasst die Grundlagen von Cross Work zusammen. Cross Work- Akteur_innen brauchen Genderwissen, die Bereitschaft zur Selbstreflexion und zur Reflexion ihres pädagogischen Alltags sowie den Austausch mit anderen. Fragen dabei können sein: Was können Frauen Burschen anbieten? Was können Männer Mädchen anbieten? Welche Chancen, aber auch welche Gefahren (z.B., dass Geschlechterzuschreibungen verstärkt werden) entstehen dabei? Wie wirkt sich die Asymmetrie in Bezug auf Geschlecht und Alter auf die konkrete Arbeit aus (im patriarchalen Bezugssystem ist der Mann dem Mädchen in Bezug auf Alter und Geschlecht überlegen, die Frau dem Burschen in Bezug auf Alter überlegen, aber in Bezug auf das Geschlecht unterlegen)? Ein wichtiges Buch, für alle, die als Frau mit Burschen oder als Mann mit Mädchen arbeiten. (Renate Tanzberger)

 

Buchmayr, Maria (Hg.) (2008): Geschlecht lernen. Gendersensible Didaktik und Pädagogik. 282 Seiten, Studien Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen, 29,90 Euro

Im Mai 2006 fand an der Universität Linz ein Absolvent_innentag zum Thema "Geschlecht lernen - gendersensible Didaktik und Pädagogik" statt. Das nun vorliegende Buch besteht aus Texten der Referent_innen und Workshopleiter_innen sowie aus Beiträgen anderer Expert_innen zu den drei Bereichen Didaktik, Naturwissenschaft und Sprache. Neben eher theoretischen Texten finden sich konkrete Beispiele, die sich sofort in die Praxis umsetzen lassen. Christine Plaimauer bietet zum Beispiel Anregungen für die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen im Unterricht in der Sekundarstufe, Susanne Schwanzer stellt Materialien für die Arbeit mit Erwachsenen vor. Cäcilia Rentmeister widmet sich einer deutschen Webplattform, die Jugendliche für sexuelle Gewalt sensibilisieren will.

Angelika Pasekas Grundlagentext "Wie Kinder zu Mädchen und Buben werden" kann in der pädagogischen Aus- und Fortbildung wunderbar Anwendung finden und jene Texte, die sich speziell mit Mathematik, Physik oder Musik beschäftigen finden hoffentlich Eingang in der Ausbildung Lehramtsstudierender. Einige Aufsätze haben auch eine starke politische Komponente. Karin Köhler etwa widmet sich dem Thema "Vom sprachbegabten Mädchen zur sprachlosen Migrantin" und zeigt dabei auf, wie u.a. Politiker_innen Frauen mit Migrationshintergrund auf die Rolle Ehefrau und Mutter festschreiben. Die Glossen von Luise F. Pusch führen in gewohnter Weise zu einem Lachen, das einer manchmal im Hals stecken bleibt. Insgesamt eine gelungene Sammlung! (Renate Tanzberger)

 

Breitsprecher, Claudia (2007): Bringen Sie doch Ihre Freundin mit! Gespräche mit lesbischen Lehrerinnen. 213 Seiten, Verlag Krug & Schadenberg, Berlin, 18 Euro.

Stunden gebannter Leselust sind garantiert durch die Geschichten, die das Leben schrieb und welche von Claudia Breitsprecher in „Bringen Sie doch Ihre Freundin mit! - Gespräche mit lesbischen Lehrerinnen" aufgeschrieben wurden. Wer gerne in Kurzgeschichtenform am Leben anderer teilnimmt, wird von dieser Le(s)bens-Sammlung begeistert sein! Lehrer_innen aus ganz Deutschland erzählen über den eigenen sowie den Umgang Anderer mit ihrer Homosexualität im Leben und im System "Schule". Beispiele für Coming-Outs gegenüber Schüler_innen, Eltern und auch Kolleg_innen in verschiedenen Orten und Schultypen sind genauso zu finden, wie auch bewusste Entscheidungen gegen die Öffentlichmachung der eigenen Homosexualität im pädagogischen Erwerbsarbeitsfeld. Von Religion bis Sport reicht die inhaltliche Bandbreite der zu Wort kommenden Lehrer_innen; dazu wird die gesamte Altersspanne der Berufstätigkeit von der Berufsanwärter_in bis hin zur bereits pensionierten Lehrer_in vor-bild-haft angeboten. Die insgesamt 10 Erzählungen werden zusätzlich noch von 2 Exkursen zur unterstützenden Arbeit politischer Institutionen ergänzt, wodurch deren existientielle Notwendigkeit zur Sichtbarmachung und Unterstützung lesbischer Lebensrealitäten im Kontext "Schule" zum Ausdruck kommt. Eine nicht nur für Lehrer_innen äußerst spannende und lustvolle Lektüre, die den Wunsch nach einer detailierteren und ausführlicheren Beschreibung lesbischer (Konflikt-)Lösungen im Staatsbetrieb "Schule" hinterlässt. Fortsetzung unbedingt erwünscht! (Bärbel Traunsteiner)

 

Rose, Lotte/ Schulz, Marc (Hg.) (2007): Gender-Inszenierungen. Jugendliche im pädagogischen Alltag. 307 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus, 28 Euro

"Gängigerweise erscheinen Genderinszenierungen den Professionellen zuallererst und primär als Problem." Entgegen einem "adultozentristischen Problemblick", nach dem Genderinszenierungen – gemeint als die Herstellung und Thematisierung von Geschlechterunterscheidung mit sprachlichen, nonverbalen, körperlichen und habituellen Ausdrucksformen – immer schon Agent_innen von geschlechtsspezifischer Diskriminierung sind, da in ihnen die Gefahren von Ungleichheit und Ungerechtigkeit liegen, zeigen die Autor_innen in ihren ethnografisch angelegten Forschungen in drei deutschen Jugendhäusern, dass solche problematisierenden Bilder einseitig sind und der symbolisch-interaktiven Komplexität der Handlungen von Jugendlichen nicht gerecht werden. Genderinszenierungen (im Jugendzentrum in vielfältigen Alltagsszenen beschrieben – wie der Disco, beim Kochen, in der Werkstatt, beim Billard, am Computer,...) werden von ihnen als Bewältigungs- und Integrationsressourcen gedeutet, die wohl auch Marginalisierungsrisiken bergen. Gruppen brauchen unentwegt Distinktionsprozeduren – wobei das Reservoir möglicher Unterschiede unbegrenzt ist. Rose und Schulz weisen darauf hin, dass nicht die Vorgänge an sich schon die Ursachen von sozialer Ungerechtigkeit sind, sondern die institutionelle Gestaltung der Unterscheidungen.

Ein vielschichtiges Forschungsprojekt über Jugendszenen wird hier anschaulich und spannend zu lesen dokumentiert. (Claudia Schneider)

 

Brinkmann, Tanja Marita (2006): Die Zukunft der Mädchenarbeit. Innovationspotenziale durch neuere Geschlechtertheorien und Ungleichheitsforschung. 144 Seiten, Unrast-Verlag, Münster, 14 Euro

Als "Altfeministin" habe ich das Buch mit gemischten Gefühlen gelesen. Einerseits nach dem Motto "Super, dass es das Buch gibt", werden doch ganz wichtige Themen in sehr kompakter Form bearbeitet (z.B. Gendertheorien, Lebenswelten von Mädchen und jungen Frauen in Deutschland, Entstehungshintergrund, Prinzipien und Kritik an der Mädchenarbeit,...). Andererseits mit ein bisschen Bauchweh. "Wie fast alle sozialen Bewegungen erschöpfte sich die Frauenbewegung mit der Zeit" (S. 118) ist ein Satz, den ich nicht unterschreiben kann. Und so positiv ich es finde, Prinzipien der Mädchenarbeit daraufhin zu hinterfragen, ob sie für die heutige Zeit noch passen und Weiterentwicklungen anzudenken, bin ich mir manchmal nicht sicher, ob es nicht erst notwendig ist, dass sich die "alten Prinzipien" flächendeckend durchgesetzt haben (und davon kann in der Kinder- und Jugendarbeit noch immer nicht die Rede sein) bevor ein Abgehen von diesen Prinzipien angesagt ist. "Letztlich gilt es, für das offen zu sein, was die Adressatinnen brauchen und nicht von vornherein zu wissen, welche Bedürfnisse vorliegen" (S. 119) ist m.E. passend für Personen, die mit Mädchen arbeiten und einen feministischen Background haben (sich also z.B. bewusst sind, dass die Bedürfnisse von Mädchen auch gesellschaftlich überformt sind), für Personen ohne feministischen Background kann so ein Satz eine Art "Freibrief" darstellen, sich nicht näher mit gesellschaftlichen Bedingungen und deren Auswirkungen auf Mädchen auseinander zu setzen.

Insgesamt ein Buch, das zum Diskutieren und Nachdenken anregt – auf jeden Fall empfehlenswert! (Renate Tanzberger)

Gubitzer, Luise/ Schunter-Kleemann, Susanne (Hg.) (2006): Gender Mainstreaming – Durchbruch der Frauenpolitik oder deren Ende? Kritische Reflexionen einer weltweiten Strategie. 253 Seiten, Peter Lang, Frankfurt/M., 56,80 Euro

Die Autor_innen des Sammelbandes, eine Dokumentation der Frauenringvorlesung an der Wirtschaftsuniversität Wien im Jahr 2004, versuchen eine theoretische und politische Verortung von Gender Mainstreaming als Instrument der Gleichstellung. Wobei der Politikansatz in seiner Reichweite für organisationale Veränderungen jeweils unterschiedlich eingeschätzt wird.

Regine Bendl z.B. bezeichnet die "Umsetzung von GM als Sichtbarmachung von Geschlechterperspektiven im funktional geschlechtsblinden malestraem bei gleichzeitiger Verfestigung der dualen Geschlechterkonzeption", Barbara Fuchs ortet eine (Re)Produktion von Geschlechterdifferenz im Technikumfeld IKT durch die österreichische Technologiepolitik. Andere Autor_innen befinden GM als geeignet, Wissen darüber zu erlangen, wie geschlechtliche Differenzierungen in Organisationen eingeschrieben sind (Ulli Gschwandtner, Birgit Buchinger) oder strukturelle Organisationsdefizite (der Hochschule) aufzuzeigen (Christine Roloff).

Eine anregende Textsammlung, die immer wieder dazu aufruft, Geschlechterdifferenzen und die Interpretation von Geschlecht als natürlicher Kategorie und binäre Geschlechtermatrix zu dekonstruieren. Ein Unterfangen, das alle an GM-Prozessen Beteiligten – in der Beratung, im Training, in der Organisationsentwicklung und auf Auftraggeber_innenseite – leisten müssen! (Claudia Schneider)


Rendtorff, Barbara (2006): Erziehung und Geschlecht. Eine Einführung. 220 Seiten, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 18 Euro

Das Buch bietet einen Überblick über Themenfelder, die im engeren Sinn mit Erziehung zu tun haben (v.a. Familie, Kindergarten, Schule). Nach einer Bestandsaufnahme bzgl. geschlechtstypischer Auffälligkeiten und verschiedenen Dikursansätzen (von historischen Erziehungsratgebern bis zu Konzepten antisexistischer Jungen- und parteilicher Mädchenarbeit) befasst sich die Autor_in mit theoretischen Grundlagen (zu Weiblichkeit, Männlichkeit, sex, gender, Differenz/en,...) und sie endet mit pädagogischen Erwägungen und Handlungsfeldern. Auffallend ist, dass die Autor_in zwar im Vorwort schreibt, dass sie sich v.a. auf deutschsprachige Literatur und Diskurse bezieht, Literatur aus Österreich aber fast gänzlich fehlt.

Mein Eindruck beim Lesen: Barbara Rendtorff positioniert sich klar als Anhänger_in der Psychoanalyse. Vieles wird angeschnitten, vieles liest sich spannend und regt zum Nachdenken an. Immer wieder gibt es Stellen, die einen Widerspruch hervorrufen, so, wenn sie z.B. zitiert, "dass wir unabhängig von allen politischen Debatten über Hetero- oder Homosexualität anerkennen müssen, dass 'unser aller Leib und Leben die mehr oder weniger glückliche Folge mehr oder weniger geglückter sexueller Beziehungen zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts ist – ob uns das gefällt oder nicht'" (S. 122). Insgesamt ein Buch, das zum Diskutieren/Streiten (Letzteres sieht Rendtorff sehr positiv) einlädt. (Renate Tanzberger)

 

Tschopp, Edith/ Wagen, Eveline (Hg.) (2006): Verletzungen. Ein Lehrmittel zum Nachschlagen über Menschenrechte, Diskriminierung und Rassismen. 283 Seiten, Verlag Rüegger, Zürich/Chur, ca. 30,70 Euro

Ziel dieses umfangreichen Lehrmittels ist es, durch das Thematisieren von Menschenrechten in Aus- und Weiterbildungen kulturelle Werte zu reflektieren, kritisches Denken zu fördern, fassbare und weniger fassbare Diskriminierungsmuster sichtbar zu machen und damit Zivilcourage im beruflichen und persönlichen Alltag zu fördern. Dazu werden Texte zu bestimmten Themenfeldern (z.B. Diskriminierung, Identität, Migration, Gender,...) zur Verfügung gestellt und im Anschluss Anregungen für die Arbeit mit den Texten gegeben (meist Fragen für Einzel- oder Gruppenarbeiten, aber auch Vorschläge für Rollenspiele,...).

Ein 60-seitiges Glossar mit Begriffen der intra- und interkulturellen Beratungs-, Vermittlungs- und Sensibilisierungsarbeit runden das gelungene Werk ebenso ab wie eine Literatur-, Link- und Medienliste. Sehr geeignet für jene, die in der Erwachsenenbildung bzw. in der Schule gerne mit Texten arbeiten. (Renate Tanzberger)

 

Behning, Ute/ Sauer, Birgit (Hg.) (2005): Was bewirkt Gender Mainstreaming? Evaluierung durch Policy-Analysen. 240 Seiten, Campus, Wien, 29,90 Euro

Der Sammelband präsentiert die Ergebnisse der Veranstaltung "Institutionenwandel und Gender Mainstreaming" vom Frühjahr 2003 in Wien. Was die Beiträge verdeutlichen:

das Ziel von Gender Mainstreaming – ein Institutionenwandel, der zur Gleichstellung von Frauen und Männern führt – ist nur durch geschlechtssensible Reflexivität der politisch Handelnden zu erreichen. Die Werte und subjektiven Überzeugungen von Akteur_innen hinsichtlich ihrer Konstruktionen von sozialem Geschlecht sind in GM-Prozessen ebenso relevant wie die jeweils im europäischen Vergleich national unterschiedlich historisch gewachsenen Rahmenbedingungen, geschlechterpolitischen Aktivitäten und Erfahrungen (z.B. die nordische Wohlfahrtpolitik, die auf soziale Gleichheit der Geschlechter fußt und zielt im Gegensatz zur kontinentalen, die die soziale Differenz der Geschlechter als Ausgangs- und Endpunkt ihrer Policy setzt – vgl. die Beiträge von Behning und Dackweiler). Der Erfolg von Gender Mainstreaming ist abhängig von zwei Bedingungen: von der Lernfähigkeit der Akteur_innen und dem Zugang zu geschlechterrelevantem Wissen (Bothfeld). Für Berater_innen in Organisationsentwicklungsprozessen, wie GM einer ist, ist auch das "strategische framing" von Bedeutung, das Institutionenwandel initiieren oder blockieren kann (vgl. den Beitrag von Sauer).

Was im Buch etwas zu kurz kommt ist eine – zugegeben – visionäre Füllung von Gender als Kontinuum: Gender können viele sein, auf jeden Fall mehr als zwei. Diese Verknüpfung von Gender-Theorien mit Organisationstheorien, -beratung und –entwicklung und Politikwissenschaft würde politische und strategische Relevanz besitzen. (Claudia Schneider)

 

Buchinger, Birgit/ Hofstadler, Beate/ Gschwandtner, Ulrike/ Schoibl, Heinz (2004): Körper . Leben . Träume. Geschlechterperspektiven bei jungen Frauen und Männern. 382 Seiten, Löcker Verlag, Wien, 32 Euro

Endlich ein Buch, das noch dazu mit einer "ethnischen" Einbettung Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen in Österreich thematisiert. Mit qualitativen Forschungsmethoden wurden von 2000-2002 Jugendliche befragt (17 Mädchen und 15 Burschen zwischen 10 und 20 Jahren sowie Jugendliche in 3 Workshops), aber ebenso Gruppengespräche mit Erwachsenen geführt. Im ersten Teil des Buches lassen uns die Forscher_innen an ihrem Reflexionsprozess und den Unterschieden zwischen den Perspektiven der 3 Forscher_innen und dem Forsch_er sowie dem Supervisor teilhaben. Mit vielen Interviewausschnitten gehen sie anschließend auf die Bereiche Lebensformen, Alltag, Freundschaft/Beziehungen/Sexualität, Körper, Zukunft/Wünsche ein. Ein abschließender Literaturüberblick sowie ein Überblick über den rechtlichen Rahmen rundet das Werk ab.

Tamara (15 Jahre): "Also eigentlich - ich hab noch nie so viel mit wem anderen über mein ganzes Leben geredet wie jetzt." (S. 42) Schön, dass sich da Forscher_innen gefunden haben, die Fragen stellen, zuhören, Interesse zeigen. Und schön als Leser_in so viel von Jugendlichen zu erfahren. Aber auch immer wieder erschreckend, wie groß die Differenzen zwischen Mädchen und Burschen in vielen Bereichen immer noch sind. (Renate Tanzberger)

 

Faulstich-Wieland, Hannelore/ Weber, Martina/ Willems, Katharina/ Budde, Jürgen (2004): Doing Gender im heutigen Schulalltag. Empirische Studien zur sozialen Konstruktion von Geschlecht in schulischen Interaktionen. 252 Seiten, Juventa Verlag, Weinheim und München, 20,10 Euro

1998 begann eine vier Jahre dauernde Längsschnittstudie mit der Fragestellung "wie Lehrkräfte und Jugendliche in der Adoleszenz in unterschiedlich zusammengesetzten Schulklassen durch Interaktionen in verschiedenen Schulfächern Geschlecht als soziale Kategorie konstruieren und welche Interaktionen zur 'Neutralisation' beitragen." Dazu wurden drei Gymnasialklassen in Deutschland beobachtet: eine mit mehr Mädchen, eine mit mehr Burschen und eine mit gleich viel Mädchen wie Burschen. Die Studie war sehr umfangreich sowohl die Methoden (Fragebögen, Unterrichtsprotokolle, Tonband- und Videoaufnahmen, Interviews, Erstellen von Interaktionsnetzen,...) als auch die Fragestellungen betreffend. Schließlich ging es um das doing gender (also die Frage, wie Geschlecht hergestellt wird) der Schüler_innen, aber auch um das undoing gender und die Frage, welche Bedeutung doing student und doing adult in diesem Zusammenhang haben.

Insgesamt eine sehr spannende Lektüre (bei der es - um nur ein paar Highlights zu nennen - um die Bedeutung von Räumen, von Kleidung und Haarpraktiken, um Selbstwert, Aggressionen etc. geht). Die Protokollniederschriften und die anschließenden Interpretationen waren stellenweise etwas mühsam zu lesen und manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Autor_innen ein undoing gender wahrnahmen, wo ich ein deutliches doing gender herauslas. Insgesamt aber auf jeden Fall eine Lektüre, die zum Diskutieren und durchaus auch zum kritischen Hinterfragen anregt.
(Renate Tanzberger)

 

Graff, Ulrike (2004): Selbstbestimmung für Mädchen. Theorie und Praxis feministischer Pädagogik. 234 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus, 24,90 Euro

Am Beispiel von theoretischem Konzept und praktischer Arbeit des feministischen Mädchentreffs Bielefeld (gegründet 1985) bearbeitet dessen ehemalige Mitarbeiterin Ulrike Graff, nunmehr Geschäftsführer_in der "Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenarbeit in NRW e.V." das Themenfeld feministische Pädagogik: sie postuliert statt "Gleichberechtigung mit Jungen" die "Selbstbestimmung für Mädchen" und plädiert für geschlechtshomogene Strukturen. Im koedukativen Kontext (einer Schule, eines Jugendzentrums) haben geschlechtshomogene Gruppen institutionell einen nachrangigen und häufig sogar diskriminierten Status, den Status von Ergänzung und Kompensation koedukativer Mängel. Übergeordnet und "normal" bleibt die Koedukation. In der erziehungswissenschaftlichen Systematik sollte daher nach Graff die Kategorie "Organisationsform in Bezug auf Geschlecht" eingezogen werden, unter der Monoedukation (Geschlechtshomogenität) und Koedukation als zwei Formen gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Ulrike Graff zeichnet die wichtigsten Positionen feministischer Theoretiker_innen zu Themen wie "Verschiedenheit" zwischen Frauen und Mädchen (nicht als Konkurrenz, sondern als Motivation für Begegnung und Austausch), "Parteilichkeit" und "Selbstbestimmung" nach und entwickelt sowohl für Fachfrauen inspirierend als auch für Einsteiger_innen nachvollziehbar ihre theoretische Positionierung in der feministischen Mädchenarbeit. Sehr empfehlenswert. (Claudia Schneider)

 

Hartmann, Jutta (Hg.) (2004): Grenzverwischungen. Vielfältige Lebensweisen im Gender-, Sexualitäts- und Generationendiskurs. 221 Seiten, STUDIA Universitätsverlag, Sozial- und Kulturwissenschaftliche Studientexte Band 9, Innsbruck.

Mit Beiträgen von:
Lothar Böhnisch, Peter Ebel, Sabine Fabach, Edgar Forster, Bettina Fritzsche, Kristina Hackmann, Jutta Hartmann, Barbara Keddi, Christian Klesse, Thomas Kugler, Susanne Luhmann, Andrea Maihofer, Olaf Stuve, Anne Thiemann, Anja Tervooren, Elisabeth Tuider.

Dieses Buch ist eine erweiterte Dokumentation der internationalen Tagung "Grenzverwischungen", die vom 13. - 15. Mai 2004 an der Universität Innsbruck stattgefunden hat.

Der Titel Grenzverwischungen bezieht sich auf die Grenzen zwischen den häufig getrennt voneinander verlaufenden Diskurssträngen zu den sozialen Kategorien Geschlecht, Sexulaität und Generationen. (S. 11) Gängige Denkgewohnheiten sollen irritiert werden, indem die vorherrschenden Zweiteilungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, Homo- und Heterosexualität, traditionellen und alternativen Lebensformen, Erwachsensein und Noch-nicht-Erwachsensein in Frage gestellt werden. (S. 10)

Neben einer theoretischen Auseiandersetzung mit den oben genannten Themen werden Studien vorgestellt und Beispiele aus der Praxis berichtet. Die Themen sind vielfältig und reichen von weiblichen Popfans über die Bedeutung vielfältiger Lebensweisen in systemischer Beratung/Psychotherapie/Supervision bis hin zu einer Reflexion des Verhältnisses von Männlichkeit, Begehren, Sexualität und Macht anhand des Filmes "The Man Who Wasn't There" (um nur ein paar Beispiele zu nennen).

Insgesamt eine vielfältige und spannende Lektüre. Besonders empfehlenswert für Leser_innen, die ein Interesse an Texten haben, in denen Identität, Dekonstruktivismus, Subjektivität, hegemonialer Diskurs, Differenz, Intersubjektivität, Poststrukturalismus,... vorkommen. Aber auch für jene, die mit Begrifflichkeiten dieser Art nicht so vertraut sind, finden sich Beiträge, die anregend zu lesen sind. (Renate Tanzberger)

 

Malz-Teske, Regina/ Reich-Gerick, Hannelore (Hg.) (2004): Frauen und Schule – gestern – heute – morgen. 13. Bundeskongress Frauen und Schule. 497 Seiten, Kleine Verlag, Bielefeld, 24,79 Euro

Der Sammelband enthält die Mehrzahl der Referate, Seminare und Workshops des jüngsten, 20. Deutschen "Frauen-und-Schule"-Kogresses, der im April 2002 in Hamburg stattfand. Die Bandbreite der Themen reicht von "Professionalisierung von Frauen im Bildungswesen" über unterschiedliche Konzepte zu Koedukation, Monoedukation und geschlechtsbewusster Pädagogik, "Gewalt gegen Mädchen und Lehrerinnen" bis zu "Neuen und Alten Medien". Interkulturalität, Bubenarbeit, Sexualpädagogik, Heterosexualität als Norm, hochbegabte Mädchen, Kindergarten, Berufsorientierung, Sportunterricht, Schulleitung, Elternarbeit, ... es gibt keinen roten Faden (bis auf "Geschlecht" oder "Gender") oder eine allen Autor_innen gemeinsame theoretische Verortung – aber gerade das macht das Schmökern so anregend. Viele der altbekannten deutschen Schulfachfrauen sind mit Beiträgen vertreten. Eine Fülle von Praxisprojekten sind in – zugegebenermaßen – sehr geraffter Form dokumentiert und machen Geschmack auf Mehr. Ob der geballten Zusammenstellung könnte die österreischische Pädagogin und Leserin neidisch werden. Diejenige, die den Kongress besucht hat, kann jedoch konstatieren: alle Herausforderungen und Inhalte, die in Hamburg thematisiert wurden, werden auch hierzulande von einer Reihe von engagierten Lehrer_innen qualitätvoll, reflektiert und gendersensibel bearbeitet. (Claudia Schneider)

 

Curdes, Beate/ Jahnke-Klein, Sylvia/ Lohfeld, Wiebke/ Pieper-Seier, Irene (2003): Mathematikstudentinnen und -studenten – Studienerfahrungen und Zukunftsvorstellungen. 294 Seiten, Wissenschaftliche Reihe des NFFG Bd. 5, Norderstedt, 24,80 Euro

Die wesentliche Basis dieser von der Universität Oldenburg ausgehenden Untersuchung stellen Befragungen von mehr als 700 Mathematikstudent_innen an 28 deutschen Universitäten dar. Neben einem quantitativen Teil (Mathematiktests und Fragebögen) wurden qualitative Interviews geführt (über die persönliche Sicht auf die Mathematik bis zur Frage, welche Faktoren beeinflussen, ob eine Promotion überlegt wird).

Auf ca. 30 Seiten findet sich ein Überblick über den Frauenanteil bei diversen naturwissen­schaftlich-mathematischen Studien (Diplom, Lehramt, Promotionen, Habilitationen) und über den Stand der Forschung zu Themen wie "das Bild von Mathematik", "Geschlechter­unterschiede in den Kausalattributionen", "Geschlechterunterschiede in Mathematiktests",...

Weiters werden die Ergebnisse der Mathematiktests und der Tests zum räumlichen Vorstellungsvermögen präsentiert (wenn sich signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern finden, sind diese zum Vorteil der Studenten).

Einen breiten Raum nehmen die Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung ein. Insgesamt hat die Untersuchung bereits erwartete Unterschiede zwischen Studentinnen und Studenten bestätigt (z.B., dass sich die Studenten leistungsstärker einschätzen als ihre Kolleg_innen; dass die Frage von Vereinbarkeit von Beruf und Familie von den Studentinnen stärker betont wurde als von ihren Kollegen; dass mehr Studenten als Student_innen promovieren wollen). Es findet sich aber auch Überraschendes (z.B., dass das zu Mathematik beliebteste Fach bei Lehramtstudent_innen Physik ist). Es konnten auch neue Hypothesen formuliert werden, z.B. "dass fachspezifische Gründe wie die Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeit oder die während des Studiums gewonnene Beziehung zur Mathematik und zum wissenschaftlichen Arbeiten die Einstellungen zu einer möglichen Promotion im Fach Mathematik wesentlich stärker beeinflussen als die Sorge um eine mögliche Vereinbarkeit mit Familienaufgaben." (S. 149)

Als Ergebnis der qualitativen Untersuchung (Interviews mit 18 Studierenden) werden fünf "Eckfälle" (mit spezifischen Charakteristiken in Bezug auf etwaige Promotionsabsichten) herausgearbeitet: die Forscher_in, die Realist_in, die Grenzgänger_in, die Geradlinige, der_die ewige Student_in.

Als ein zentrales Ergebnis der Frage, wie die Promotionsabsichten von Frauen erhöht werden können, wird abschließend festgestellt: "Es wäre daher wichtig, gute Studienleistungen von Studentinnen nicht nur deutlich zu würdigen, sondern auch die Perspektive auf eine mögliche Promotion und die damit implizierten Berufsfelder ausdrücklich mitzubenennen." (S. 228) (Renate Tanzberger)

Bohn, Irina (2002): Gender Mainstreaming und Jugendhilfeplanung. 88 Seiten, Votum, Münster, 12,90 Euro

Enggruber, Ruth (2001): Gender Mainstreaming und Jugendsozialarbeit. 158 Seiten, Votum, Münster, 10 Euro

Rabe-Kleberg, Ursula (2003): Gender Mainstreaming im Kindergarten. 112 Seiten, Beltz, Weinheim/ Basel/ Berlin, 14,90 Euro

Rose, Lotte (2003): Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendarbeit. 123 Seiten, Beltz, Weinheim/ Basel/ Berlin, 53, 49 Euro

Die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaufgabe der Kinder- und Jugendarbeit ist bereits geraume Zeit professioneller Standard in einigen Institutionen und bei einigen Träger_innen – als geschlechtssensible Pädagogik bzw. gendersensibles Arbeiten. Die Autor_innen der vorliegenden vier Bände der Reihe "Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe" beschreiben klar und eindeutig Gender Mainstreaming als darüber hinausgehende, institutionelle Strukturen in den Blick nehmende geschlechterpolitische Strategie. Gender Mainstreaming wird so verstanden als Verfahren, das sich vorwiegend auf die Veränderung von Entscheidungs(findungs)prozessen und Routineverfahren von Organisationen konzentriert; die spezifischen Inhalte und konkreten jeweiligen Ziele der Gleichstellungspolitik müssen durch Erhebung der Bedürfnisse der Zielgruppen und ihrer Lebenslagen mit entsprechenden Umsetzungsverfahren formuliert werden.

Rabe-Kleberg's Band ist in erster Linie eine theoretisch-historische Abhandlung über den Kindergarten als 'gendered institution' und über die Professionsgeschichte der Kleinkindpädagog_innen; weiters liefert sie aktuelle Beispiele für Prozesse des 'doing gender' auf der Strukturebene (z.B. Räume) wie auf der Prozessebene (z.B. Interaktionen).

Bohn stellt detailliert mögliche Instrumente von Gender Mainstreaming vor (Leitbild am Beispiel eines Jugendamts, Qualifizierung, Wissensmanagement, Organisationsentwicklung, Programmplanung und Programmbegleitung und Evaluation). Besonders Enggruber setzt sich kritisch mit GM als Strategie und damit verbundenen Konflikten auseinander. Immer wieder wird auf fehlende inhaltliche Ziele hingewiesen wie auch auf Gefahren des möglichen Missbrauchs (z.B. durch Abschaffung von Mädchenbeauftragten). Schade ist, dass in keinem der Bände bereits vollzogene Gender Mainstreaming-Prozesse nachzulesen sind.

So sind die Texte eher programmatisch, die Umsetzung im eigenen Arbeitsbereich muss sich jede Leser_in selbst erarbeiten. (Claudia Schneider)



Heiliger, Anita (2002): Mädchenarbeit im Gendermainstream.

158 Seiten, Verlag Frauenoffensive, München, 14,90 Euro

Dieses Buch von Anita Heiliger, einer Expert_in im Bereich der Gewaltprävention, die am Deutschen Jugendinstitut in München arbeitet und u.a. maßgeblich an der Münchner Kampagne gegen Männergewalt an Frauen und Mädchen/Jungen beteiligt war, bietet einen gut leserlichen Überblick über mädchenspezifische Ansätze in der Jugendarbeit in Deutschland.

Sie bezieht kritisch Stellung zur scheinbaren Gleichberechtigung von Mädchen und Burschen. „Eine vorherrschende 'Gleichheitsrhetorik' produziere ’Gleichheitsmythen’ und verhindere, dass die real bestehenden Ungleichheiten thematisiert und bearbeitet werden.“ zitiert sie Öchsle/Geissler.

Sie zeigt auf, wo das Konzept des Gender-Mainstreamings genutzt werden kann, aber auch, welche Gefahren es birgt (z.B. das finanzielle Aushungern von mädchenspezifischen Angeboten mit dem Hinweis, dass diese durch das GM obsolet seien).
Sie reagiert sensibel darauf, Mädchen vermehrt zu Täter_innen und Buben zu Opfern zu stilisieren. Und sie zeigt auf, in welchen Bereichen Mädchenarbeit nach wie vor notwendig ist und welche Mädchengruppen speziell angesprochen werden sollten (Mädchen mit Behinderungen, Migrantinnen, lesbische Mädchen).

Heiliger ist eine, die Stellung bezieht und damit sicher auch polarisiert. Beim Lesen tat mir diese Klarheit gut („ja, genau so ist es“), zeitweise tat sie aber auch weh („so schlimm darf es doch nicht sein, was Mädchen immer noch an Gewalt erleben müssen!“).
(Renate Tanzberger)

 

Kessels, Ursula (2002): Undoing Gender in der Schule. Eine empirische Studie über Koedukation und Geschlechtsidentität im Physikunterricht.
256 Seiten, Juventa Verlag, Weinheim/ München, 23,70 Euro

Zu Beginn steht eine Zusammenfassung über Geschlechtsunterschiede in Bezug auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer.
Weiter geht es mit einem sozialpsychologischen Kapitel, in dem ein Identitätsmodell vorgestellt wird, das das Selbst als multiple und flexible Struktur auffasst.
Nachdem die Kategorie „Geschlecht“ von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, werden Forschungsergebnisse zitiert, die belegen, dass es für das Interesse eines Mädchen an den Naturwissenschaften ungünstig ist, wenn sie sich als Mädchen und den naturwissenschaftlichen Bereich als maskulin wahrnimmt – es sei denn sie hat ein hohes „maskulines Selbstwissen“. [In dem Buch erfährt frau auch, wie dieses gemessen wird!]

Der zweite Teil geht der Frage nach, wie sich ein monoedukativer Anfangsunterricht in Physik auf die Leistung und das Interesse auswirkt – bei Mädchen und bei Buben.

Die These dahinter: für Mädchen wirkt er sich positiv aus, weil es durch den geschlechtshomogenen Unterricht zu einer „geschlechtlichen Entspannung“ kommt. Trotz der – oder genauer gerade durch die – Trennung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit (also einem institutionellen genderism) kommt es anschließend zu einem „undoing gender“, da das Geschlecht in homogenen Gruppen weniger im Vordergrund steht als in geschlechtsheterogenen Gruppen.

Im dritten Teil wird der Frage nachgegegangen, ob sich Jugendliche in koedukativen Gruppen stärker geschlechtstypisiert beschreiben und ihnen geschlechtsbezogenes Wissen zugänglicher ist als in geschlechtshomogenen Gruppen.

Insgesamt ein spannendes Buch, das zu Diskussionen anregt!
(Renate Tanzberger)

Koch-Priewe, Barbara (Hg.) (2002): Schulprogramme zur Mädchen- und Jungenförderung. Die geschlechterbewusste Schule.
203 Seiten, Beltz Verlag, Weinheim/ Basel, 20,50 Euro

In Österreich werden allerorts Schulprogramme und –profile erarbeitet als zielorientierte Handlungskonzepte für die Verwirklichung einer „guten Schule“.

Dabei wird die Geschlechtszugehörigkeit der Schüler_innen, der Lehrpersonen, aber auch die Wirkmächtigkeit von Strukturen, Rahmenbedingungen und Curricula auf die Geschlechterverhältnisse oft ignoriert. Demokratische Schulentwicklungsprozesse kommen jedoch ohne Gender-Bewusstsein nicht aus.

Der Band versammelt Beispiele für Schulprogramme aus neun Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (Grund-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien) und einem Gynmasium in Österreich (Rahlgasse, Wien), in denen die Mädchen- und Jungenarbeit explizit berücksichtigt wird.

Dabei werden weniger theoretische Abhandlungen über Gender-Theorien geliefert, als viel mehr konkrete subjektive Erfahrungsberichte und Rekonstruktionen der einzelnen Autor_innen (meist Lehrer_innen), wie sich die schuleigenen Entwicklungsprozesse vollzogen haben: z.B. von Selbstbehauptungskursen für Schüler_innen, Konzepten zu Lebensplanung und Berufswahlorientierung für Mädchen und Jungen, Konzepten der Jungenförderung, Methoden der Einbeziehung der Eltern, Erfahrungen mit Frauenfortbildungen an der eigenen Schule bis zu den Schwierigkeiten, das Gender-Thema in der Schulprogrammarbeit zu verankern.

Die Leser_in erhält eine Fülle von Anregungen, wie es im Sinne der eingangs erwähnten „Schulqualität“ gelingen kann, eine geschlechterbewusste Praxis in den Schulalltag zu implementieren.
(Claudia Schneider)


Lauggas, Meike (2000): Mädchenbildung bildet Mädchen. Eine Geschichte des Begriffs und der Konstruktionen.
240 Seiten, Milena Verlag, Wien, 17,90 Euro

In ihrer überarbeiteten und erweiterten Diplomarbeit, für die sie den “Gabriele Possanner-Förderpreis” des Wissenschaftsministeriums verliehen bekam, geht Meike Lauggas der Wortentstehungsgeschichte des Begriffs Mädchen sowie dessen, was und wer damit gemeint sein sollte, nach.

Ausgangspunkt ihrer spannenden diskursanalytischen, mentalitätsgeschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Untersuchung ist historisches Aktenmaterial: Im Quellenstudium der Akten der Studienhofkommision (Vorläuferin des heutigen Bildungsministeriums) zur Zeit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in der Habsburgermonarchie im Jahr 1774 kristallisierte sich die Frage heraus, warum in den Akten das Wort Mädchen so unterschiedlich geschrieben wurde (z.B. Mägdchen, Magdgen..), und welches die Worte waren für jene, für die diese Schulen eingerichtet wurden (z.B. künftige Kindsmütter). Warum wurde für weibliche Kinder der Diminuitiv-Begriff, d.h. die Verkleinerungsform Mädchen – und damit das grammatikalisch sächliche Geschlecht – durchgesetzt?

Die Autor_in unterstreicht die Relevanz des Ortes Schule, über den Mädchen als Mädchen erst – öffentliche – Wahrnehmung zuteil wurde; sie stellt die Frage, ob durch die Herausbildung des Wortes Mädchen die Adressat_innen dieser Bezeichnung überhaupt erst ins allgemeine Bewusstsein drangen.

Meike Lauggas entwickelt eine Bildungsgeschichte von Mädchen im doppelten Sinn des Wortes. Sie spannt den Bogen bis zu heutigen riot grrrls-, görl-, girlie-Bewegungen und verdeutlicht damit die Aktualität der Fragen: Was soll eigentlich Mädchen-Kindheit sein? Gibt es die Mädchen? Und schließlich: wie präsentieren Mädchen sich selbst?
(Claudia Schneider)




Lemmermöhle, Doris/ Fischer, Dietlind/ Klika, Dorle/ Schlüter, Anne (Hg.) (2000): Lesarten des Geschlechts. Zur De-Konstruktionsdebatte in der erziehungs-wissenschaftlichen Geschlechterforschung.

279 Seiten, Leske + Budrich, Opladen, 20,60 Euro

Ein Sammelband, den frau am besten nicht nur für sich liest, sondern gemeinsam mit anderen durchdiskutiert.

Vor allem der erste Teil, der sich mit theoretischen Ansätzen der Konstruktion und Dekonstruktion beschäftigt, erfordert ein mehrmaliges Durchlesen: Begriffe wie Differenz, Gleichheit, Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit, sex, gender,... werden im Sinne eines historischen, philosophischen und sozialwissenschaftlichen Diskurses beleuchtet.

Im zweiten Teil werden Methoden und methodologische Aspekte (z.B. Biografieforschung, Interviewsituationen) aus de-konstruktivistischer Perspektive beleuchtet.

Im dritten Teil „Forschungs- und Handlungsfelder“ stehen schulische Interaktionen im Vordergrund und widmet sich je ein Kapitel dem Thema „interkulturelle Pädagogik“, „Behinderung“, „Lebensformen“.

Wer Sätze der Art „Die dekonstruktivistische Kritik im Feminismus richtet sich gegen die sex-gender-Trennung und essentialistische Weiblichkeitsvorstellungen, die das biologische Geschlecht naturalisieren, weil es als unhinterfragbare Grundlage des sozialen Geschlechts angenommen wird.“ gerne liest, hält hiermit das richtige Buch über den Einzug der höchst spannenden De/Konstruktions-Debatte in die Erziehungswissenschaften in den Händen.
(Renate Tanzberger)

 

Pipher, Mary (1999): Pubertätskrisen junger Mädchen und wie Eltern helfen können. Übersetzt von Bruni Röhm und Almuth Carstens.
400 Seiten, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M., 9,80 Euro

Die Autor_in, US-amerikanische Psycholog_in und Psychotherapeut_in, behandelt in ihrem Buch die Phase der Adoleszenz von Mädchen und damit einhergehende Krisen wie Depressionen, Neurosen, Essstörungen, Suchtverhalten, aber auch ganz alltägliche Probleme von Mädchen in der Pubertät.

Die Ursachen dafür sieht sie in den widersprüchlichen Rollenerwartungen, dem Druck der herrschenden gesellschaftlichen Strukturen, unter dem die Mädchen “ihr authentisches Selbst ablegen und nur einen kleinen Teil ihrer Fähigkeiten entfalten”.

Vor allem durch die Analyse von sexistischen, alltäglichen Frauendarstellungen in Werbung, Film, Video-Clips oder Song-Texten - der medialen Umwelt der Mädchen - macht sie diese und die Leserin sensibel für mädchen- und frauenverachtende Kultur: ‘lookism’ (d.h. die Beurteilung einer Person einzig nach ihrem Äußerem) wird ebenso problematisiert wie z.B. Diskriminierungserfahrungen von Mädchen durch männerorientierte Lehrinhalte in den Schulen und die herrschende Koedukationspraxis.

In den exemplarischen Fallgeschichten werden Mädchen mit unterschiedlichsten Erfahrungen vorgestellt, z.B. ein Adoptivmädchen, ein lesbisches Mädchen, Töchter alleinerziehender Mütter oder Väter.

Es ist kein psychoanalytisch-theoretisches Buch. Für die Leser_in ist es allerdings in der Fülle von Einzelbiographien schwierig, den roten Faden zu behalten.
Die Autor_in vermittelt die Notwendigkeit der Empathie sowohl für die Mädchen als auch für die Eltern, v.a. die Mütter, um einen Prozess begleiten zu können, in dem Mädchen sich “ihr wahres Selbst erhalten” und eine “Identität, die auf ihren Talenten oder Interessen basiert und nicht auf ihrem Aussehen, ihrer Beliebtheit oder ihrer Sexualität”. (Claudia Schneider)

 

Rendtorff, Barbara/ Moser, Vera (Hg.) (1999): Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in der Erziehungswissenschaft.
327 Seiten, Leske + Budrich, Opladen, 25,60 Euro

Geschlecht war in der Pädagogik immer schon ein relevantes Thema. Liest frau z.B. die Schriften von Rousseau und Pestalozzi, finden sich dort unterschiedliche Erziehungsideale für Mädchen und Burschen.

Das Geschlechterverhältnis ist von Natur aus ein hierarchisches und die Geschlechtscharaktere von Frau und Mann sind als polare zu denken - und danach wird auch die Erziehung ausgerichtet.
Dem stehen die Forderungen der 1. Frauenbewegung nach Gleichstellung und Zugang zu "höherer" Bildung gegenüber - wobei manche Richtungen auf die wesenhaften Unterschiedlich-keiten von Frau und Mann beharrten.

Heute ist dieses Thema nach wie vor aktuell, neue Sichtweisen sind hinzugekommen: sind Frauen und Männer gleich oder different, sind Mädchen/Frauen defizitär oder die besseren Menschen, wie/lassen sich Gleichheit und Differenz zusammendenken, sollte die Zweigeschlechtlichkeit nicht prinzipiell als konstruiert entlarvt werden,...?

Der Sammelband bietet - für an Theorie Interessierte - eine gute Einführung zu "Geschlecht als Kategorie", er bemängelt, wie wenig sich die moderne Erziehungswissenschaft dem Thema bis jetzt gestellt hat und zeigt, wie Geschlechterforschung in verschiedene Teildisziplinen Eingang finden könnte.
(Renate Tanzberger)

 

Breidenstein, Georg/ Kelle, Helga (1998): Geschlechteralltag in der Schulklasse – Etnographische Studien zur Gleichaltrigenkultur.
287 Seiten, Juventa Verlag, Weinheim/ München, 23,70 Euro

Beforscht wurde die peer culture von 9-12jährigen Mädchen und Buben zweier Klassen der Laborschule in Bielefeld.
Ziel war es, anstatt die Bedeutsamkeit der Geschlechtsunterschiede vorauszusetzen, sie als empirische Frage zu behandeln. Es sollten Situationen erfasst werden, in der die Geschlechterunterscheidung Bedeutung hat.

Besonderes Augenmerk wird auf die Ordnung der Schulklasse (durch Gruppenbildung bei Spielen, Verteilungen auf Tische oder Zimmer, bei der Frage der Beliebtheit und bei Freundschaftsinszenierungen) und Szenerien der Geschlechterunterscheidung (beim Thema Sexualität, Verliebtheit, Paarbildung, Ärgern, Lästern, Verkleiden,...) gerichtet.

Die Mädchen und Buben kommen z.T. selbst zu Wort, breiten Raum nehmen die Beobachtungen von Autorin und Autor der Studie sowie deren Interpretationen des Geschehens ein, wobei sich die Forschenden der Schwierigkeit bewusst sind, eine Balance zwischen dem Eintauchen in die Alltagswirklichkeit der Kinder und der Notwendigkeit einer analytischen Distanzierung zu finden.

Das Buch ist vor allem jenen zu empfehlen, die Situationen, in denen Geschlechterunterscheidungen deutlich zu Tage treten, bewusster wahrnehmen wollen. Wer sich durch das Lesen des Buches erhofft, Anregungen zu bekommen, wie im Schulalltag auf geschlechtstypisches Verhalten von Mädchen und Burschen eingegangen werden könnte, kommt nicht auf ihre Rechnung.
(Renate Tanzberger)


Markert, Dorothee (1998): Momo, Pippi, Rote Zora ... was dann? Leseerziehung, weibliche Autorität und Geschlechterdemokratie.
342 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus, 21,00 Euro

Dieser Text stellt eine gelungene Mischung zwischen Theorie und Praxis dar. Die Autor_in analysiert Begriffe wie Mädchenliteratur, Vorbild, Leser/in,..., beleuchtet die Bedeutung des Lesens für Mädchen und für Burschen, thematisiert pädagogisches Handeln im Spannungsfeld zwischen Gleichheit und Differenz, Bindung und Freiheit und stellt eine Befragung von Hauptschüler_innen über deren Vorbilder in der Kinder- und Jugendliteratur vor.

Ein Herzstück des Buches stellt jenes Kapitel dar, in dem sieben Kriterien für die Auswahl von Kinder- und Jugendbüchern, die eine Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse unterstützen können, vorgestellt werden.
Schlüsselelemente sind dabei die Begriffe "Bindung", "Respekt", und "weibliche Autorität".

Mit 18 positiven Beispielen aus der Literatur werden die Kategorien (Bindung in einer Beziehung zwischen zwei männlichen Personen, weibliche Autorität in einer Beziehung zwischen einer weiblichen und männlichen Person, Respekt in einer Beziehung zwischen zwei weiblichen Personen,...) anschaulich präsentiert.

Am Ende wird in einer Liste von 270 analysierten Kinder- und Jugendbüchern angeführt, welche der Kategorien in dem jeweiligen Buch vorkommen. Unbedingt empfehlenswert für Deutschlehrer_innen und Personen, die gerne Kinder- und Jugendbücher an Mädchen/Buben verschenken (oder selber lesen)! Und eine gute Anregung, über die eigenen Lesevorbilder nachzudenken!
(Renate Tanzberger)


Nissen, Ursula (1998): Kindheit, Geschlecht und Raum. Sozialisationstheoretische Zusammenhänge geschlechtsspezifischer Raumaneignung.
259 Seiten, Juventa Verlag, Weinheim/ München, 20,10 Euro

Wie erfolgt im Zuge des Sozialisationsprozesses die Verbindung von Aneignung der sozialräumlichen Bedingungen mit der Entfaltung der individuellen Persönlichkeit?

Auf der Grundlage der ausführlichen Präsentation von Konzepten zur (geschlechtsspezifischen) (politischen) Sozialisation versucht die Autor_in die Frage nach der Mitwirkung des eigenaktiven autonomen Subjekts an seiner eigenen Sozialisation zu klären.

Nach einer geschlechterdiffenzierenden Analyse der Begriffe Raum, Öffentlichkeit und politische Partizipation von Mädchen und Frauen folgert Ursula Nissen: Sozialisationsprozesse im Sinne positiver Aneignung der öffentlichen Freiräume sind für Mädchen grundsätzlich erst dann möglich, wenn die sich im öffentlichen Freiraum ausdrückende sexuelle Mißachtung von Mädchen (und Frauen), ihre Degradierung zum Objekt durch Belästigung, Anmache und Gewalt verschwunden ist und Mädchen sich ungehindert, unbeaufsichtigt und ohne Bedrohung in diesen Räumen bewegen können.

Wer daran interessiert ist, sich (wieder) intensiver mit Sozialisationstheorien und daraus abgeleitet den Bedingungen und Voraussetzungen für die Beteiligung von Mädchen und Frauen in öffentlichen Räumen auseinanderzusetzen, um für die eigenen Arbeitsbereiche Anregungen zum Weiterdenken zu erhalten, derjenigen ist dieses Buch zu empfehlen - schnelle Rezepte zur Umsetzung in der Praxis bietet es nicht.
(Claudia Schneider)